Deutscher Nachhaltigkeitspreis Architektur
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10 Jahre preisgekrönte nachhaltige Architektur

Gut zwei Wochen ist es her, als das Hotel Wilmina mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis (DNP) in der Kategorie Architektur prämiert wurde. Mit der Auszeichnung tritt die Umnutzung eines ehemaligen Frauengefängnisses in Berlin-Charlottenburg in außergewöhnliche Fußstapfen. Die Rückschau auf die vergangenen 10 Jahre des Preises macht deutlich, dass viele der erfolgreichen Projekte ihrer Zeit voraus waren. Sie haben Debatten mit angestoßen, die heute präsenter denn je sind.

Wenn man mit den Gewinnern vergangener Jahre über den DNP Architektur spricht, wird schnell deutlich, dass er für sie einen besonderen Stellenwert einnimmt. Diesen Eindruck konnte man auch in diesem Jahr wieder rund um die Preisverleihung am 2. Dezember 2022 in Düsseldorf erleben. Zu spüren ist die gegenseitige Wertschätzung der Nominierten genauso wie das Bedürfnis, mit dem eigenen Projekt etwas anstoßen zu wollen. Das gilt auch für das jetzt ausgezeichnete Projekt Hotel Wilmina.

Gewinner Deutscher Nachhaltigkeitspreis Architektur 2023: Prof. Almut Grüntuch-Ernst (Gründerin, Grüntuch Ernst Architekten) und Gordian Grüntuch (Co-Founder und Opening Manager, WILMINA) im Interview

Als die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen, kurz DGNB, und die Stiftung Deutscher Nachhaltigkeitspreis im Jahr 2013 einen gemeinsamen Sonderpreis ins Leben gerufen haben, war noch nicht abzusehen, welchen Stellenwert dieser zehn Jahre später haben wird. Heute ist es der wichtigste Architekturwettbewerb für nachhaltige Architektur in Deutschland. Dies liegt auch daran, dass es der Jury in ihren unterschiedlichen Konstellationen immer wieder gelungen ist, Projekte auszuwählen, die bleibende Impulse gesetzt haben.

Zirkuläres Bauen war auch 2013 schon möglich

Ein gutes Beispiel hierfür ist der erste Preistragende: das Kunstmuseum Ravensburg. Heute sprechen alle über die Reduktion des Ressourcenverbrauchs, die Wiederverwendung von Materialien und zirkuläres Bauen. Doch was auch heute noch für die meisten Gebäude Zukunftsmusik ist, war beim 2013 ausgezeichneten Projekt bereits gelebte Praxis. So bestehen die Gebäudehülle und das Gewölbedach aus Altziegeln eines ehemaligen Klosters.

Auch die Frage nach einem zukunftsfähigen Umgang mit unserem Gebäudebestand ist so ein Thema, was aktueller denn je ist. Es wird zunehmend verstanden, dass wir mit Neubauten allein die Klimaschutz-Herausforderungen nicht werden lösen können. Schon 2014 wurde mit der Revitalisierung eines 200 Jahre alten Gehöfts, dem HOF8 im Taubertal, ein Projekt ausgezeichnet, das hier ansetzt. Der sanierte Plusenergiehof ist ein guter Beleg dafür, dass Abriss und Neubau zwar oft die einfachere, aber unter Nachhaltigkeitspunkten meist die schlechtere Alternative sind.

In eine ähnliche Richtung ging der Gewinner des Preises im Jahr 2015. Erfolgreich war die Generalsanierung und Aufstockung eines Wohnhochhauses in Pforzheim. Beispielhaft adressierte das Projekt ein verbreitetes Problem des Gebäudebestandes aus der Nachkriegszeit: den Umgang mit sanierungsbedürftigen Altbauten.

  • Kunstmuseum Ravensburg | © Roland Halbe

Klimapositive Gebäude schon lange Realität

Modellcharakter bescheinigte die Jury auch dem 2016 erfolgreichen Schmuttertal-Gymnasium Diedorf – und das in mehrfacher Hinsicht. Das im Plusenergiestandard errichtete Gebäudeensemble erzeugt mehr Energie, als es verbraucht, wodurch es klimapositiv im Betrieb ist. Die Lernlandschaft entstand mit einer vorbildhaft neuen Entwurfs- und Herstellungsmethodik. So konnte durch die modulare Fertigung die Schulanlage kostengünstig und in nur zwei Jahren realisiert werden.

Ein gutes Gespür bewies die Wettbewerbsjury auch bei der Wahl des Gewinnerprojekts 2017: dem genossenschaftlichen Wohnbauprojekt „wagnisART“ in München. In Zeiten gesellschaftlicher Spaltungen zeigte das 138 Wohnungen umfassende Areal, wie durch die intensive Einbindung der zukünftigen Bewohner in den Planungsprozess eine bemerkenswerte, die Gemeinschaft fördernde Architektur entstehen kann.

Das auch öffentliche Bauten mit der hinreichenden Ambition und dem notwendigen Gestaltungswillen zu einer herausragenden nachhaltigen, innovativen und gestalterisch hochwertigen Architektur führen kann, beweist das 2018 ausgezeichnete Neue Rathaus im Stühlinger in Freiburg. Als erstes öffentliches Netto-Plusenergiegebäude der Welt kann seine Vorbildfunktion gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.

  • Schmuttertal-Gymnasium Diedorf | © Stefan Müller-Naumann

Leuchttürme der Nachhaltigkeit

Ein echter Leuchtturm des nachhaltigen Bauens ist die 2019 prämierte Alnatura Arbeitswelt in Darmstadt. Dabei hat das Gebäude weit mehr zu bieten, als nur die Stampflehmfassade, durch die es vielleicht am ehesten bekannt geworden ist. Das Projekt besticht durch eine außerordentliche ganzheitliche Qualität, die die Möglichkeiten einer nachhaltigen Bauweise umfassend auslotet.

Im Jahr 2020 ging der DNP Architektur an das Wohnhochhaus SKAIO in Heilbronn. Das Gebäude, das zum Zeitpunkt seiner Fertigstellung Deutschlands höchstes Haus in Holzhybridbauweise war, ist ein architektonischer Pionier und Wegbereiter für den Holzbau in Deutschland. Es hat auch baurechtlich die Dimensionen des Machbaren neu ausgelotet, sodass andere Projekte heute unmittelbar davon profitieren. Zudem zeigt es, dass nachhaltiges Bauen und bezahlbarer Wohnraum sich nicht ausschließen.

Und auch im Jahr 2021 bewies das Preisgericht ein hervorragendes Gespür für die Themen der Zeit. Denn wenn uns der Wandel zu einer CO2-neutralen, gebauten Umwelt wirklich gelingen will, müssen wir lernen, nicht nur konventionelle Materialien durch ressourcenschonendere zu ersetzen, sondern von vornherein auf einzelne Schichten und komplizierte Haustechnik zu verzichten. Mit dieser Fragestellung setzt sich das Projekt „Einfach Bauen“ in Bad Aibling auf vorbildliche Art und Weise auseinander. Mehr noch: Durch die wissenschaftliche Begleitung und der für die Öffentlichkeit frei verfügbaren Dokumentation leistet das Projekt herausragende Pionierarbeit, die in der Planungs- und Baupraxis bereits Spuren hinterlässt.

  • Alnatura Campus – Neubau der Alnatura Arbeitswelt in Darmstadt | © Roland Halbe

Mehr denn je gefragt: Der sensible Umgang mit dem Gebäudebestand

Spuren dieser Art wird vermutlich auch das Hotel Wilmina hinterlassen. Der Preisträger im Jubiläumsjahr des DNP Architektur ist ein hervorragendes Beispiel für die Nachverdichtung im Gebäudebestand bei gleichzeitig verantwortungsvollem Umgang mit einem schwierigen Erbe. Statt die bestehende Gebäudesubstanz als Ballast zu sehen, versteht es diese als Chance etwas Neues zu schaffen. Ein Ort zum Wohlfühlen, aller Historie zum Trotz. Und ein Ort, den jeder einmal erleben sollte, um zu spüren, was von ihm ausgestrahlt wird.

Hotel Wilmina in Berlin | © Wilmina, Foto: Robert Rieger

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