Interview
Schreibe einen Kommentar

50 Insights: Blick in die Zukunft des Wohnens

Heute schon zu wissen, was in ein paar Jahren ist, ist eine Vorstellung, die viele reizt. Das Zukunftsinstitut in Frankfurt am Main schafft genau das in gewisser Weise. Zwar auf der Basis gesammelter Daten, Fakten und verbunden mit viel Recherche, dennoch wagen sie mit ihrer neuesten Studie „50 Insights“ einen Blick in die Zukunft des Wohnens. Wie sie das machen und wie eine mögliche Zukunft aussehen könnte, das hat uns Christiane Varga, eine der Autorinnen, im Interview verraten.

Henny Radicke: Frau Varga, Sie arbeiten am Zukunftsinstitut. Heißt das, dass Sie uns die Zukunft voraussagen können?

Christiane Varga ist Expertin für die Bereiche New Living im Think Tank des Wiener Zukunftsinstituts.

Christiane Varga: Nein, das kann ich leider – oder zum Glück – nicht. Aber ich kann Prognosen darüber abgeben, die natürlich mit Wahrscheinlichkeiten zu tun haben. Es ist ein Irrglaube, dass die Zukunft ausschließlich etwas ist, das im dunklen Nebel vor uns liegt. Vielmehr findet die Zukunft auch jetzt und heute statt, passiert um uns herum. Zahlen, Daten, Fakten aber auch viel Beobachtung und Recherche sind wichtig, um Wahrscheinlichkeiten für das Künftige abzugeben. Mehr Soziologie als Glaskugel.

HR: Das Institut hat ganz aktuell die Studie „50 Insights – Zukunft des Wohnens“ veröffentlicht. Sie schauen also gewissermaßen durch das Schlüsselloch der Zukunft. Wie wohnt denn Deutschland im Moment und wie werden wir in Zukunft wohnen?

CV: Wohnen wird in Zukunft diverser: Die „Familie Mustermann“, die ihr Leben lang in einem 08/15-Reihenhaus lebt, wird es immer seltener geben. Unser Leben findet mehr und mehr im Transit statt, in „Third Places“, vielfältigen Verbindungen zwischen „real“ und „digital“. Gleichzeitig steigt die Sehnsucht nach einem Zuhause und nach Gemeinschaft zum Batterie-Aufladen in einer komplexen Welt. Das führt schon heute in Deutschland zu einem Revival der Baugenossenschaften: Co-Housing ist ein Trend, der sich in Zukunft weiter verstärken wird.

HR: Mit der Zukunft beschäftigen wir uns bei der DGNB auch. So haben wir ein Leitthema, das unter dem Titel „Zukunft Wohnen – Zukunft Stadt“ steht. Das Ziel dahinter ist es, für alle ein Wohnen in Städten zu ermöglichen, das nachhaltig, lebenswert und bezahlbar ist. In der Studie sprechen Sie ganz konkret Themen wie den Lebenszyklus an; ein essentieller Bestandteil einer DGNB Zertifizierung. Welche Rolle spielt denn das Bauen und vor allem auch das nachhaltige Bauen in Ihrer Studie? Und welche Rolle wird das Thema Ihrer Meinung nach in Zukunft spielen?

CV: Nachhaltigkeit und Ökologie werden in den kommenden Jahren stärker denn je die Architektur, die Immobilienwirtschaft sowie den Haus- und Wohnungsbau bestimmen. Unser Verständnis davon, was Nachhaltigkeit und Ökologie noch alles bedeuten kann, sollte deshalb bereits heute erneuert werden. Wir müssen die Standards hinterfragen, mit denen wir nachhaltiges Bauen definieren. Projekte sollten noch viel stärker ganzheitlich betrachtet werden, in Form eines interdisziplinären Zugangs des Projektteams entlang des gesamten Gebäudelebenszyklus: vom Architekturwettbewerb über die Planung und Errichtung bis hin zum Betrieb des Gebäudes. Sehr wichtig ist, soziale Diversität in der Konzeption und Entwicklung zu berücksichtigen, besonders bei öffentlichen Gebäuden wie Kindergärten, Schulen oder Sporteinrichtungen, da das jeweilige Gebäude im Mittelpunkt der gesellschaftlichen Wahrnehmung steht und von den Bürgern genutzt wird. Die Bedarfsermittlung ist der Dreh- und Angelpunkt: Wer nutzt das Gebäude heute, in fünf und in zehn Jahren auf welche Art und Weise? Hier eine zuverlässige Prognose abzugeben wird in Zeiten von Multimobilität, vielfältigeren Lebensphasen und rapidem gesellschaftlichem Wandel immer schwieriger. Was bedeuten „Nachhaltigkeit“, „Lebenszyklus“ und „Standards“ heute und in Zukunft sind deshalb Fragen, deren Antworten neu verhandelt werden sollten.

HR: 50 Insights hat die zwölf Megatrends unserer Zeit definiert, wie bspw. die Themen Urbanisierung, Neo-Ökologie, Gesundheit oder aber Gender Shift. Dargestellt wie ein U-Bahnnetz sollen diese Megatrends langfristig gesehen unsere Gesellschaft umformen. Warum und wie haben Sie genau diese Trends und die einzelnen Stationen auf der Megatrend-Linie identifiziert?

Die Megatrend-Map zeigt die zwölf zentralen Megatrends unserer Zeit.

CV: Grundsätzlich ist die Darstellung als U-Bahn-Netz sehr passend, weil Megatrends immer miteinander verknüpft sind und nie nur linear nebeneinander ablaufen.  Megatrends sind Tiefenströmungen des Wandels, sie sind, bildlich gesprochen, wie Lawinen in Zeitlupe. Denn als Entwicklungskonstanten der globalen Gesellschaft umfassen sie zwischen 30 und 50 Jahren und verändern unsere Art zu leben fundamental – was uns in alltäglichen Situationen häufig gar nicht wirklich bewusst ist. Sie wirken in jedem einzelnen Menschen und umfassen alle Ebenen der Gesellschaft: Wirtschaft und Politik ebenso wie Wissenschaft, Technik und Kultur. Diese Kombinationen haben unterschiedliche Trendphänomene zur Folge – die wiederum die Megatrends festigen und beeinflussen. Die Trendphänomene, die wir auf der Map identifiziert haben, gibt es bereits. Sie sind unserer Meinung nach jene Trends, die einen wirklichen Impact auf unsere Gesellschaft und unsere Art zu leben, zu arbeiten und zu konsumieren haben.

HR: Ein Teil der Studie ist die Frage nach dem Glück und vor allem auch, wie glücklich uns Städte machen. Wie steht es denn um unsere Städte? Und wie glücklich müssen unsere Städte überhaupt sein?

Auf 113 Seiten beschäftigt sich das Zukunftsinstitut mit der Zukunft des Wohnens.

CV: Um unsere Städte steht es grundsätzlich sehr gut. Während in Fritz Langs Stummfilmklassiker „Metropolis“ als Antwort auf die beginnende massive Urbanisierung der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts noch eine expressionistische Großstadt-Dystopie als Zukunftsvision gezeichnet wurde, sind die Metropolen heute und in Zukunft grün und vielfältig. Die Bewohner eigenen sich den öffentlichen Raum wieder stärker an. Das urbane Wir-Gefühl fördert eine Entwicklung, die der Großstadt einen provinziellen Touch gibt. Immer häufiger finden Quartierbildungen statt, die dem vermeintlich anonymen Großstadtmenschen das Gefühl der Zugehörigkeit geben, wie sie sonst nur in ländlichen Gebieten vermutet wurde. Stadtteilfeste, nachbarschaftliche Community und Urban-Gardening-Projekte  sind nur einige der vielen Trends, die das Phänomen in einem sich selbst verstärkenden Kreislauf am Leben halten: Je mehr sich der Einzelne mit seinem Viertel identifizieren kann, desto stärker engagiert er sich auch weiter in seinem Stadtteil und fördert so ein kollaboratives, identitätsstiftendes Setting, das auch weitere anzieht. Glückliche Städte bedeuten im Prinzip nichts anderes als eine stabile Form von Lebensqualität.

HR: Mit der Rubrik „Fragen an sich selbst“ endet die Studie. Das klingt für mich so, dass die Antwort auf „Wie wollen wir in Zukunft wohnen“ nur ich selbst beantworten kann. Sie als Experte, der dem Buch nach zu urteilen auf sehr viele Fragen eine Antwort weiß, wie wollen Sie denn in Zukunft wohnen?

CV: Hier schließt sich der Kreis Ihrer Anfangsfrage: Zukunft findet heute statt, das bedeutet, wir können sie immer auch mitgestalten. Ich finde die Entwicklung gut, dass sich Wohnen immer weniger nur auf die eigenen vier Wände bezieht. Ich persönlich kann mir sehr gut vorstellen innerhalb meines Lebens an vielen verschiedenen Orten zu wohnen. Vielleicht sogar einmal in einem tiny house, mit dem ich mit meinem zukünftigen Mann und den noch nicht vorhandenen Kindern eine Zeit lang umherreise. Das Prinzip des modernen Nomadentums fasziniert mich sehr.

Gewinnspiel:
Wir verlosen ein Exemplar der Studie „50 Insights – Zukunft des Wohnens“. Dafür müssen Sie folgende Frage richtig beantworten: Welches Jubiläum feiert die DGNB im Jahr 2017?
Ihre Antwort schicken Sie bitte bis 9. Mai 2017 an marketing@dgnb.de. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Teilnahme ab 18 Jahren. Mitarbeiter der DGNB sowie deren Angehörige sind von der Teilnahme ausgeschlossen. Die Gewinner werden aus allen korrekten Einsendungen ausgelost und schriftlich benachrichtigt. Viel Erfolg!

Kategorie: Interview

von

Henny Müller ist seit 2016 bei der DGNB. Aktuell ist sie dort als Senior Projektleiterin für die Wissensstiftung verantwortlich. Davor arbeitete sie als Leiterin Digitale Kommunikation bei der DGNB in der Abteilung PR und Kommunikation. Zielgruppenorientiertes Arbeiten, ein Gespür für Themen und Inhalte zu entwickeln und Kommunikation mit all ihren Facetten zu erleben, zu nutzen und zu bedienen sind Aufgaben, die sie seit ihrem Volontariat beim Regionalfernsehen in Stuttgart sowie als Referentin in der Stabsstelle Kommunikation der Baden-Württemberg Stiftung begleiten.

Diesen Artikel drucken

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert