Während Begriffe wie Nachhaltigkeit und Klimaschutz in der Baubranche mittlerweile viel diskutiert werden und auf den großen Branchentreffen Beachtung finden, ist das Thema Biodiversität noch nicht so stark im Branchenalltag angekommen. Warum das problematisch ist und wo Lösungsansätze für die wachsende Biodiversitätskrise liegen, haben Biodiversitätsexpertin Dr. Frauke Fischer, Pascal Bunk (Knauf Gips KG) und Sven Schulz (Bodensee-Stiftung) beim DGNB Jahreskongress 2023 erläutert.
BLOGSERIE ZUM DGNB JAHRESKONGRESS 2023 (TEIL 2)
Am 14. und 15. Februar fand der zweite digitale Jahreskongress der DGNB statt. In Impulsen und Gesprächsrunden wurden hier Entwicklungen zu vielfältigen Aspekten des nachhaltigen Bauens besprochen. Die Blogserie gibt einen Rückblick und fasst zentrale Botschaften zusammen. Im nächsten Beitrag steht das Thema Klimaanpassung im Fokus.
Beim Thema Biodiversität drängt sich der oft synonym verwendete Begriff der Artenvielfalt auf. Dabei ist Artenvielfalt nur eine von drei Ebenen, aus denen sich Biodiversität zusammensetzt. Die beiden anderen Ebenen sind die genetische Vielfalt und die Vielfalt von Ökosystemen. Wie stark der Mensch auf alle drei Ebenen einwirkt, stellte Dr. Frauke Fischer am Anfang ihres Impulsvortrages heraus.
Der große menschliche Fußabdruck
„Wir haben in den letzten 50 Jahren fast 70 Prozent aller Wirbeltierbestände und fast 80 Prozent aller Insekten vernichtet, also viele Arten sehr selten gemacht. Und das erhöht unmittelbar die Gefahr auszusterben für diese Arten“, erklärte die Biodiversitätsexpertin. „Wir haben auch das Artensterben beschleunigt – ungefähr um den Faktor 1000. Das heißt, wir müssen davon ausgehen, dass jede Stunde ein bis zwei Tier- oder Pflanzenarten für immer verschwinden“. Echte Wildnis zu finden, sei ebenfalls sehr schwierig geworden: Nur etwa zwei Prozent der weltweiten Landmasse sei noch unberührt von menschlicher Aktivität.
In diesem Zusammenhang stellte die Biologin auch heraus, dass 2020 wahrscheinlich das Jahr war, in dem es zum ersten Mal mehr menschengemachte Dinge als Natur gab. Das schließt auch den Bausektor nicht aus: Betrachtet man das Gewicht, haben Gebäude und Infrastruktur 2020 die Gesamtbiomasse aller Bäume und Sträucher auf der Erde überstiegen.
Warum der Biodiversitätsverlust so problematisch ist
Menschen profitieren von der Natur. Maßgeblich sind hier Ökosystemdienstleistungen. Dazu zählen neben sauberem Wasser und frischer Luft die Bereitstellung von fruchtbaren Böden zur Gewinnung von Lebensmitteln. Aber auch Aspekte von Entspannung und Schönheit, die Menschen beispielsweise in Form touristischer Angebote wie einer Wandertour durch die Berge oder einem Waldspaziergang für sich nutzen. „All diese Ökosystemleistungen können wir entweder gar nicht, nur unzulänglich, immer sehr teuer und nie ohne weitere Schäden zu verursachen ersetzen“, führte Dr. Fischer aus. Allein der wirtschaftliche Nutzen der Ökosystemleistungen belaufe sich nach einer Rechnung von 2011 auf über 100 Billionen Euro. Das sei in egal welchem Land und welchem Erhebungszeitraum immer knapp das Doppelte des jeweiligen Bruttosozialprodukts.
Abgesehen von dem finanziellen Aspekt gehe es bei der Biodiversitätskrise aber auch um grundsätzlich existenzielle Fragen: Im Vortrag beschrieb Dr. Frauke Fischer den Biodiversitätsverlust als herausspringende Nieten bei einem fliegenden Flugzeug. Vielleicht sei es nicht schlimm, wenn die erste Niete herausspringt. Und eine zweite, dritte, vierte. Aber irgendwann sei es eine Niete zu viel und das Flugzeug stürze ab.
Biodiversität schützen, Klima retten
Umso wichtiger sei es daher, jetzt gute Maßnahmen zum Schutz von Biodiversität zu ergreifen. Renaturierung beschrieb die Expertin als besonders vielversprechende Maßnahme. Hierdurch würde nicht nur Biodiversität gefördert oder wieder hergestellt, sondern auch Gutes für das Klima getan: Weltweit gebe es 350 Mio. Hektar degradierte Landflächen. Deren Renaturierung bis 2030 würde der Atmosphäre knapp 26 Gigatonnen Treibhausgase entziehen. Das entspräche ziemlich genau der Emissionslücke, die 2030 zwischen dem Weg zum 1,5°C-Ziel, dass sich die Staatengemeinschaft gesetzt hat, und den Zielen, die durch die Politik und derzeitiges Handeln erreicht würden, klafft.
Chancen in der Baubranche nutzen
Während Dr. Frauke Fischer eher kritisch auf die Baubranche und die gebaute Umwelt geschaut hat, sah Sven Schulz von der Bodenseestiftung durchaus Potentiale in Städten. Städte seien teilweise sogar zu Refugien von Arten geworden, die anderweitig kaum noch Lebensräume fänden. Aber auch er betonte den Wert von Renaturierungsmaßnahmen und biologischer Aufwertung von Flächen.
Als Biodiversitätsmanager von Knauf Gips, betonte Pascal Bunk, wie wichtig es bei der Frage nach schadensreduzierter Rohstoffgewinnung sei, Rohstoffe in Deutschland – und erweitert der EU – zu gewinnen. Hier wären gesetzliche Vorgaben sehr streng und Unternehmen könnten einen Tagebau beispielsweise nicht einfach zerklüftet hinterlassen, wenn sich ein Abbau nicht mehr lohnt. Das biete die Möglichkeit, durch Renaturierungs- oder Rekultivierungsmaßnahmen sogar vielfältigere Biotope in einem ehemaligen Tagebau zu hinterlassen, als man vor dem Abbau vorgefunden hat. Gerade in den ausgeräumten Acker- und Kulturlandschaften Mitteleuropas sei das Potential groß, hierdurch eine positive Wirkung auf die Biodiversität zu haben.
Beim Thema Rohstoffe identifizierten Sven Schulz und Pascal Bunk im Austausch mit Moderatorin Dr. Christine Lemaitre (DGNB) auch zirkuläres Bauen als wunden Punkt der Branche, wenn es um den Verlust von Biodiversität geht. Derzeit sei der Ressourcenverbrauch noch viel zu groß, um den Bedarf innerhalb der planetaren Grenzen zu decken. Knauf Gips sieht im Rohstoffrecycling noch großen Nachholbedarf. Insbesondere, da in absehbarer Zeit der als Nebenprodukt bei der Braunkohleverbrennung entstehende Gips nicht mehr zur Verfügung stehen wird und anderweitig gewonnen werden müsse.
Die komplette Diskussion sowie den Impulsvortrag vom DGNB Jahreskongress 2023 finden Sie auf dem YouTube-Kanal der DGNB. Weitere Informationen zum Engagement der DGNB zum Schutz von Biodiversität finden Sie hier.
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Titelbild: © analogicus auf Pixabay; bearbeitet durch Jana Burczyk