Achtung: Das hier ist kein normaler, formal korrekter Blogbeitrag, der zum Abschluss noch suchmaschinenoptimiert wurde, um mehr Reichweite zu erzielen. Der Text ist vielmehr Ergebnis eines Ärgerns. Ein „Das musste einfach mal raus“-Post. Entstanden mitten in der Nacht. Schlecht geträumt, wach geworden, blöderweise aufs Handy geschaut und als LinkedIn-Pushnachricht einen Kommentar gelesen, der mich nicht losgelassen hat. Nur um dann den eigenen Blog zu kapern.
Aber der Reihe nach. Vor wenigen Tagen hatten wir bei der DGNB unser 15-jähriges Jubiläum gefeiert mit einem wunderbaren Netzwerkevent. Viele Menschen haben glücklich den Tag miteinander verbracht und sind inspiriert und motiviert nach Hause gegangen. Und zu genau dieser Veranstaltung haben wir rückblickend einen Blogbeitrag und entsprechenden Social-Media-Posts gemacht.
Und unter eben jenem Post gab es folgenden Kommentar: „…prima… aber bitte nicht noch mehr vergeistigen und philosophische Ansätze…. Die Praxis gewinnt!!!!“
Wer sich jetzt wundert, warum dieser doch eigentlich harmlose, weil weder diffamierende, noch sonst wie kritische Beitrag etwas auslöst, das zu dieser nächtlichen Texterei führt: Ich kann Sie verstehen. Deshalb lassen Sie mich erklären.
Wieviel Handlung folgt auf Floskeln?
Ich habe in letzter Zeit viel moderieren dürfen und Vorträge gehalten. In Strategieworkshops und Innovationsrunden von Unternehmen, die sich ab sofort mehr um Nachhaltigkeit kümmern wollen. Dabei entwickelt man ein wenig ein Gespür, wem es ernst ist mit der Transformation und wer sich an Floskeln festhält. Oder an Gründen, warum etwas nicht geht.
Mein erster Impuls als Reaktion auf diesen Kommentar war, einen kurzen Antwortkommentar zu schreiben. Der hätte in etwa wie folgt gelautet: „Die Praxis gewinnt, das stimmt. Aber bitte auch jenseits von Marketingbroschüren und Textbausteinen für die Website. Sondern mit ehrlicher Konsequenz, über die gesamte Produktpalette, entlang der kompletten Wertschöpfungskette, in den eigenen Büros und Produktionsstätten. Seien Sie Vorbild und inspirieren Sie andere, indem Sie Ihren eigenen Wirkungsgrad bestmöglich ausschöpfen.“
Warum dann dieser Blogbeitrag? Weil mir diese Botschaft zu wichtig ist, als dass ich sie nur zufällig von denjenigen gelesen haben möchte, die über ihren LinkedIn-Algorithmus jetzt noch auf den Originalbeitrag gestoßen werden. Und weil diese Botschaft sich nicht explizit an den Kommentarschreiber richtet, sondern an alle aus dem Nachhaltigkeits-Wohlfühlbubble, die sich gerne auf die eigene Schulter klopfen für das bereits Geleistete.
Denn: Da geht noch mehr! Seien Sie ehrlich zu sich. Machen Sie wirklich alles, was möglich ist?
Ein Pladöyer gegen die „Wir müssen“-Parolen
Bei den verschiedenen Diskussionsrunden, die ich in letzter Zeit moderieren durfte, ist mir eines aufgefallen und bewusst geworden: Zur „Ja, aber“-Mentalität haben sich „Wir müssen“-Parolen gemischt. Viele tendieren dazu, sich immer zu sagen, was alles getan werden muss, um dieser Klimaschutz-Mammutaufgabe Herr zu werden.
Meine Meinung dazu ist: Lassen Sie diese Parolen weg, denn sie bewirken nichts Positives oder Aktivierendes. Wir alle wissen, dass die Zeit mehr als drängt. Dass der Gebäudesektor katastrophal viel Anteil am CO2-Ausstoß hat. Und dass die Aufgabe insgesamt enorm groß ist. Aber je mehr wir uns das immer wieder vorsagen, desto fester wird die Schockstarre.
Stattdessen mein Appell: Schaut nicht auf die anderen, was alles wichtig wäre, um im Kollektiv die Gesamtherausforderung zu meistern. Schaut als erstes im Kleinen bei euch selbst, wo Hebel liegen. Hebel, die einfach heute ohne Probleme umlegbar sind. Einfach indem wir liebgewonnene und damit festgefahrene Handlungsmuster entautomatisieren.
Und macht dann Schritt 2: Identifiziert jene Herausforderungen, die ihr vielleicht nicht allein lösen könnt. Von denen ihr aber überzeugt seid, dass sich mit den passenden Änderungen richtig was bewegen lässt. Und dann: Kämpft dafür, dass sich etwas ändert! Im Kollektiv mit den passenden Partnern.
Worum geht es also? Es geht nicht ums Perfektsein, sondern ums Ehrlichsein. Darum in den Spiegel zu schauen und sich nicht selbst zu belügen bei der Frage, ob man schon alles macht, was möglich ist.
Wenn wir zum Beispiel die Bauproduktehersteller nehmen, aus deren Richtung der Kommentar kam: Bieten Sie nur noch Produkte an, die höchsten Nachhaltigkeitsstandards genügen? Oder sind Ihre Top-Produkte in Sachen Nachhaltigkeit nur die Premiumvarianten eines breiten Sortiments? Und wenn dem so ist: Bieten Sie diese Produkte, mit denen Sie einen gewissen Beitrag zu Nachhaltigkeit und Klimaschutz leisten, zum gleichen oder günstigeren Preis an? Denn das wäre meiner Meinung nach der größte Beitrag, den Sie leisten können: All jenen die Argumentationsgrundlage nehmen, die sich nach wie vor entspannt mit dem Argument „Nachhaltigkeit ist ja immer teurer“ aus der Affäre ziehen können.
Wenn auf Erkenntnis Aktion folgt
Zum Abschluss dieses Beitrags möchte ich noch einen LinkedIn-Beitrag zitieren von jemandem, der unseren DGNB Tag der Nachhaltigkeit selbst besucht hat. Und der etwas anderes mitgenommen hat als der oben zitierte Kommentar. Der uns bei der DGNB motiviert so weiterzumachen, wie wir es seit vielen Jahren tun.
Lieber Tobias Nazemi, ich hoffe, du verzeihst mir, dass ich dich hier ungefragt zitiere, aber du hast zu wunderbar formuliert, was wir heute von noch viel mehr Menschen brauchen – nämlich ehrliches Engagement statt leerer Floskeln:
„Ich bin jetzt 57 und habe – wenn alles gut läuft – noch zehn Berufsjahre bis zur Rente. Das ist erschreckend wenig, und ich denke in letzter Zeit viel darüber nach, was ich in diesen zehn Jahren beruflich noch erreichen will und kann. Ebenfalls zehn Jahre bleiben uns laut dem aktuellen IPCC Report, um eine radikale Trendwende bei den globalen CO2-Emissionen zu schaffen. Zehn Jahre, um die Welt zu retten, zehn Jahre, die wir nicht damit verschwenden sollten, darüber zu diskutieren, wer eigentlich für den Klimawandel verantwortlich ist und erstmal anfangen sollte, etwas zu tun. Die Bau- und Immobilienbranche ales einer der weltweit größten Klimasünder ist die größte Stellschraube, an der wir drehen können. Das ist mir am Freitag beim Tag der Nachhaltigkeit der DGNB noch mal ganz deutlich bewusst geworden.
Und auf einmal wusste ich, was ich die nächsten zehn Jahre als PR-Berater im Bau- und Architekturbereich noch unbedingt machen will und machen muss. Nämlich meinen Teil dazu beitragen, dass die dringend notwendige Bauwende nicht irgendwann in der Zukunft, sondern sofort eingeleitet wird. Denn ohne eine Bauwende können wir den Klimawandel nicht aufhalten. Oder wie die DGNB auf seiner Webseite so treffend formuliert: Den Wandel aktiv gestalten, unterstützen oder ihm wenigstens nicht im Wege stehen, darum geht es jetzt!“
Danke, lieber Tobias hierfür.