Circular Economy
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Die Lücke schließen: das DGNB Zertifikat für Rückbau

Über Circular Economy oder Cradle to Cradle wird viel gesprochen, wenn es um das Planen von Gebäuden oder das Entwickeln von Produkten geht. Die Frage, wie die Logistik und die Prozesse am Nutzungsende aussehen müssten, wird hier jedoch kaum diskutiert. Doch wenn wir den Rückbau nicht nachhaltig gestalten und an dieser Stelle keine Stoffkreisläufe schließen, bleiben viele Probleme ungelöst. Das möchte die DGNB ändern!

Sollen Grafiker nachhaltige Prozesse visualisieren, wählen sie oft eine Kreis- oder Unendlichkeitsform. Denn Abläufe sollten nicht abgebrochen werden, vielmehr sollten sie sich aus sich selbst heraus erneuern. Auch der Lebenszyklus eines Gebäudes ist solch ein Prozess. Heutiger Stand ist jedoch, dass dies im Baubereich eher Wunschdenken als Realität ist.

Das heißt, wir müssen uns mit der heutigen Rückbaupraxis beschäftigen, wenn wir das kreislauffähige Bauen im Bauwesen ernstnehmen. Ein Rückbau der heute nach Nachhaltigkeitsaspekten geplant und umgesetzt wird, bietet die Chance, die einmal eingesetzten Rohstoffe am Lebensende des Gebäudes nicht zu Abfällen werden zu lassen, sondern sie durch Wiederverwendung oder durch eine sortenreine, sorgfältige Trennung und Verwertung wieder neu in den Kreislauf einzubringen. Und: Auf diese Weise lässt sich in relevantem Maß CO2 einsparen.

Um welche relevanten Aspekte es hierbei geht, hat die DGNB in den letzten 12 Monaten gemeinsam mit entsprechenden Experten in Form des Rückbauzertifikats definiert.

Abb. 1: Die Lebensphasen von Bauprojekten – das Lebensende erhielt lange Zeit zu wenig Beachtung. © DGNB

Nachhaltiger Rückbau in zwölf Kriterien

Für die Konzeption der neuen Zertifizierung stand die Stärkung der Kreislaufführung sowie die Schließung von Stoffströmen in der heutigen Rückbaupraxis im Fokus. Elementar hierfür ist die Optimierung der Prozesse, denn um eine ganzheitliche Nachhaltigkeit umzusetzen, ist immer das Zusammenspiel verschiedener Aspekte und Akteure wichtig.

Daraus wurden die Prinzipien abgeleitet, die einen nachhaltigen Rückbau ausmachen:

  • Gefahrstoffe identifizieren
  • Verwertung und Entsorgung optimieren
  • Prozesse verbessern und ausbauen
  • Menschen in den Fokus setzen
  • Transparenz schaffen

Abb.2: Die Grundmotive des Rückbauzertifikats spiegeln sich in verschiedenen Kriterien wider. © DGNB

Diese Zielsetzungen wurden in zwölf Kriterien übersetzt, die die fünf Themenfelder Ökologie, Ökonomie, soziokulturelle und funktionale Aspekte, Technik und Prozesse adressieren.

Circular Economy transparent und messbar machen

Das Konzept der Circular Economy ist für die DGNB seit ihrer Gründung in 2007 eine Herzensangelegenheit und seit jeher über unterschiedliche Aspekte in den Kriterien des Neubauzertifikats verankert. Es war daher ein logischer Schritt, bei der Betrachtung der gesamten Nutzungszeit eines Gebäudes auch den Rückbau über ein Zertifikat transparent und messbar zu machen. Denn die notwendige Transformation hin zu einer wirklichen Kreislaufwirtschaft erfordert grundlegende Innovationen und vielschichtige Veränderungen. Zum einen geht es um technische Herausforderungen, aber auch um fehlendes Wissen.

Wie funktioniert der heutige Rückbau und wie müssen unsere Gebäude heute geplant werden, sodass die Weiter- und Wiederverwendung der eingesetzten Materialien und Bauteile auch wirklich funktioniert? Denn mit „besser geschraubt als geklebt“ oder anderen Pauschalüberlegungen springen wir zu kurz, d.h. wir müssen heute verstehen, wie die Prozesse optimierbar und planbar sind und wo wir dringende Innovationen brauchen. Zum anderen mangelt es an gesetzlichen Regelungen bzw. haben wir Regelungen die aber dann nicht aufeinander abgestimmt sind und dann noch in verschiedenen Zuständigkeitsbereichen liegen. So hat Abfallrecht mit Baurecht nichts zu tun. Wie kann ein solch komplexes Ziel also gefördert werden?

Um Abhilfe zu schaffen und ein Miteinander (auch ohne entsprechende fiskalpolitische Normgebung) zu ermöglichen, ist ein Zertifikat wichtig, um verschiedene Bereiche im Sinne der Kreislaufwirtschaft zu stärken, aber vor allem auch Standards im Markt zu etablieren, die über den heutigen gesetzlichen Vorgaben liegen. Damit kann man schneller agieren, Dinge ausprobieren aber auch den politischen Entscheidungsträgern positive Beispiele liefern, um hier die gesetzlichen Mindestanforderungen ambitioniert weiterzuentwickeln. Das DGNB Zertifikat widmet sich daher Rückbauplanung, den Materialstrombilanzen, der Verwertung und Entsorgung, sortenreiner Trennung / Kreislaufführung und Gefahrstoffsanierung.

Das Beispiel Materialstrombilanz im Rückbau

Ein Beispiel: Wird ein Gebäude rückgebaut, entstehen Abbruchmassen – die Summe der Stoffe, aus denen das Gebäude bestand. Um die Behandlung dieser Substanzen bewertbar zu machen, fragt das Zertifikat als erstes, welche Materialien anfallen. Anschließend betrachtet man den Weitertransport, also wohin werden die Abbruchmassen gebracht. Außerdem wird die Frage geklärt: Was passiert mit den Materialien? Können sie via Bauteillagern- und börsen wiederverwendet werden, können sie recycelt werden oder müssen wir sie doch entsorgen?

Abb. 3: Statt Ressourcen einfach abzubauen, sollte der Fokus auf den Erhalt der Qualität und eine dadurch mögliche Kreislaufführung der Materialien gelegt werden. © DGNB

Auf diese Weise kann man eine ehrliche Materialstrombilanz erstellen. Diese macht transparent, inwieweit der gesamte Prozess heute auf das Konzept der Circular Economy einzahlt und wie klimaschonend er sich ausnimmt. Je besser die Bilanz ausfällt, desto mehr Punkte gibt es. Durch diese Transparenz wird aber auch klar, wo perspektivisch die Verbesserungs- und Optimierungspotenziale liegen, um beim nächsten Projekt hier ein besseres Ergebnis zu erzielen.

Wer profitiert?

Für verschiedene Akteursgruppen bietet das Zertifikat unterschiedliche Vorteile. Kommunen bietet es Qualitätssicherung und Erfolgskontrolle. Den Menschen mit nahe gelegenem Wohnort sichert es möglichst geringe Belastung der Anwohner durch Lärm, Staub, Schadstoffe oder Baustellenverkehr. Auch für Eigentümer und Bauherren von Projekten bringt die Anwendung des neuen Zertifikats Vorteile. So trägt es zur Kostensicherheit und Risikominimierung bei – ein wichtiger Punkt, liegt doch die Verantwortung für die Bauüberwachung und -koordination sowie die dazugehörige Haftung beim Bauherren.

Für alle Akteure setzt es aber den sehr wichtigen Impuls, die Abbruchmaßnahme grundsätzlich zu hinterfragen. Denn im DGNB Rückbauzertifikat wird der Erhalt der Bausubstanz belohnt. Der Abriss von Gebäuden sollte immer die letzte Option sein, denn der Erhalt von Bausubstanz ist einer der wichtigsten Hebel für konsequenten Klima- und Ressourcenschutz. Damit werden die CO2-Emissionen für die Produktion neuer Materialien vermieden und ebenso die CO2-Emissionen aus dem gesamten Abbruch- und Bauprozess. Des Weiteren können so Abfallmengen reduziert werden.

Rückbau- und Recyclingunternehmen können sich durch das Zertifikat positionieren: Circular Economy ist ein wichtiges Klimaschutz- und Zukunftsthema, Prozessoptimierung inklusive.

Wie geht es nun weiter?

Nach der Konzeption des Zertifikats durch unabhängige Experten und Akteure der Bau- und Rückbauwirtschaft haben wir nun die Erstanwendungsphase ausgerufen. Dadurch kann die Marktanwendung unmittelbar beginnen aber auch der Test für die Kriterien und Themen: Wo steht die Rückbaupraxis heute? An welchen Stellen können wir die Anforderungen verschärfen und wo sind sie vielleicht zu ambitioniert? Und vor allem: Wie schnell verstehen die Akteure das Themenfeld, um eine breite Transformation anzustoßen? Die Beantwortung dieser Fragen hilft nicht nur, die Kriterien des Rückbauzertifikats über die Anwendungen hin zu optimieren und weiterzuentwickeln, sondern auch um das notwendige Wissen zusammenzutragen, welches dann in die Weiterentwicklung der DGNB Neubauzertifikate und die DGNB Akademieangebote einfließt.

Und damit – schließt sich der Kreis.

Sie wollen die Kriterien im Detail kennen lernen? Mehr über das DGNB Rückbauzertifikat finden Sie auf unserer Homepage. Eine Übersicht der Kriterien finden Sie hier. Ein Online-Erklärung als Video findet sich hier. Und wenn Sie Teil der Erstanwenderphase sein wollen und ein Projekt anmelden, klicken Sie hier.

Diskussionsevent zum nachhaltigen Gebäuderückbau im Livestream

„Nachhaltiger Ressourcenschutz – Gebäuderückbau im Hier und Jetzt“: Unter diesem Titel lädt die DGNB am 25. November gemeinsam mit dem NEXT Studio zum digitalen Diskursevent ein. Im Anschluss an Impulsvorträge zu den Themen „Ein Haus wie ein Baum“ und „Nachhaltiger Gebäuderückbau in der Praxis“ diskutiert DGNB Vorstand Dr. Christine Lemaitre mit Experten über den Stellenwert des Gebäuderückbaus auf dem Weg in die „Circular Economy“. Die Teilnahme ist kostenlos.

Hier geht es zur Veranstaltung.

Kategorie: Circular Economy

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Seit Anfang 2009 ist Dr. Christine Lemaitre im Team der DGNB – zunächst als Leiterin der Abteilung System. Ein Jahr später übernahm sie die Rolle als Geschäftsführender Vorstand. Seither leitet die promovierte Bauingenieurin die Geschicke der DGNB. Die dreifache Mutter setzt sich gerade auch international für Nachhaltiges Bauen ein – etwa als Präsidiumsmitglied der Sustainable Building Alliance. Von 2015 bis Juni 2019 war sie zudem Vorsitzende des European Regional Network im World Green Building Council.

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  1. Wow, die Pläne des Rückbaus klingen interessant. Ich fände es spannend zu erfahren, was mit den Massen und Materialien der Abbrucharbeiten passiert. Im besten Fall könnten sie für den nächsten Hausbau verwendet werden.

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