Wir können bereits heute gute, nachhaltige und gestalterisch hochwertige Gebäude planen und bauen. Warum tun wir es dann so selten? Ein zentraler Grund: nachhaltiges Bauen ist komplex. Das Wissen, um schnell und sicher Entscheidungen treffen zu können, nicht immer vorhanden. Genau hier setzt die neu gegründete Wissensstiftung an. Unter dem Motto „Die Welt zu retten ist nicht einfach, doch mit dem richtigen Wissen wird es zumindest leichter“ stellt sie kostenlos direkt anwendbares Wissen bereit. Kompakt, verständlich, ohne viel Schnickschnack. Zum offiziellen Kickoff gab es bei der BAU 2021 Einblicke in drei ausgewählte Lernthemen.

Unter norocketscience.earth stellt die Wissensstiftung kostenlos direkt anwendbares Wissen-to-Go bereit.
Nachhaltige Wissenshappen: So hieß das Format, in dem renommierte Experten ihre Fachthemen in kurzen Gesprächen den digitalen Messe-Besuchern vorstellten. Ein Name, der auch das allgemeine Konzept der Wissensstiftung gut auf den Punkt bringt. Denn die Plattform soll kein neues Wikipedia sein, kein Fortbildungskurs mit x Unterrichtseinheiten, aber auch kein Lorem Ipsum oder belanglose Newshäppchen. Stattdessen will sie genau das Maß an Informationen zu einzelnen Themen bieten, dass es braucht, um ein Fachthema schnell zu durchdringen und informierte Entscheidungen im Sinne der Nachhaltigkeit zu treffen – und um dann direkt loslegen zu können.
Wissenshappen 1: „Gut für den Kreislauf! Bauen im Sinne der Circular Economy“
Denn um das Loslegen geht es. Das zeigt sich bereits in der ersten Veranstaltung zum Thema Circular Economy. Schon zum Einstieg betont Prof. Michael Braungart, Professor an der Leuphana-Universität Lüneburg, dass wir zwar mit Blick auf eine konsequente Kreislaufführung in mancherlei Hinsicht noch relativ am Anfang stehen, die Geschwindigkeit, mit der sich aber auch das Prinzip Cradle to Cradle verbreitet und die Dinge sich ändern, beeindruckend sei. Der Baubereich sei ein Schlüssel. „Dort entscheidet sich, ob Cradle to Cradle erfolgreich ist. Wenn die Geschwindigkeit so bliebe, wie sie jetzt ist, würde vor 2050 alles Cradle to Cradle sein“, so Braungart.
„Wir brauchen nicht nur Leuchttürme, sondern wir müssen das in die Breite bringen“
Was es dafür mit Blick auf das kreislauffähige Bauen in erster Linie braucht? Die entsprechende Kompetenz in den Planungsteams. Da ist sich Peter Mösle, Geschäftsführender Partner bei Drees und Sommer und Geschäftsführer von EPEA GmbH – Part of Drees & Sommer, sicher. „Die Position muss auf jeden Fall mandatiert sein im Planungsprojekt und es muss klar sein, wer die Verantwortung dafür hat.“ Gleichzeitig ist sich die Runde einig, dass es nicht mit der einen Person getan ist. „Ich denke bei dieser ganzen Frage, gutes oder nachhaltiges, kreislauffähiges Bauen hat jeder seinen eigenen Handlungsspielraum. Und ich glaube dadurch entsteht auch ein positives Moment im Planungsteam“, so DGNB Vorstand Dr. Christine Lemaitre.

Alle, die direkt starten wollen, finden im Lernthema „Alles bleibt im Kreislauf“ Checklisten als Planungshilfen sowie einen Leitfaden zur richtigen Material- und Produktauswahl pro HOAI-Phase. ©Wissensstiftung
Es geht also um jeden einzelnen. Jedoch nicht um Perfektion, „sondern es geht wirklich auch um das Anfangen und die Auseinandersetzung und den Dialog mit den Akteuren. Daraus entsteht ja auch ganz viel Positives. Und wir brauchen das in jedem Projekt. Wir brauchen nicht nur Leuchttürme, sondern wir müssen das in die Breite bringen“, lautet Christine Lemaitres Plädoyer, dem auch Braungart zustimmt: „Ich würde mich freuen, wenn die Leute versuchen nicht alles zu machen, sondern sich wirklich bei jedem Projekt zwei, drei Dinge vornehmen, die sie beispielhaft machen. Die könnte man dann auch in eine Datenbank wie die Wissensstiftung geben.“
Hier gibt es die Veranstaltung in voller Länge zum Nachschauen.
Wissenshappen 2: Achtung Schadstoffe! So gelingt die gesunde, umweltfreundliche Materialwahl
Eng verknüpft mit einer kreislauffähigen Bauweise ist das Thema des zweiten Messetags. Es geht um Schadstoffe. Genauer: Wie gelingt es, sie zu vermeiden und eine gesunde und umweltfreundliche Materialwahl zu treffen? Kein triviales Thema. Grundsätzlich gebe es laut Prof. Alexander Rudolphi, Geschäftsführer Rudolphi + Rudolphi GmbH und DGNB Präsidiumsmitglied, drei Ebenen, drei Schutzziele, die es zu beachten gilt: die Herstellung der Produkte, die Risiken in der Nutzung und Auswirkungen auf die Nachnutzung.
Wichtig: die Produktausschreibung

Im Lernthema „Schad- und Risikostoffe“ finden alle Interessierten unter anderem Empfehlungen für Bauprodukte sortiert nach Bauelementen, die der höchsten Qualitätsstufe, der DGNB Qualitätsstufe 4 entsprechen. ©Wissensstiftung
So weit so gut. Doch wie geht man in der Praxis konkret vor? Hier müsse man abwägen. Auf der einen Seite ginge es darum, den Schadstoffgehalt in Produkten und das Risikopotenzial grundsätzlich zu minimieren, so der Berliner Experte. Auf der anderen Seite müsse man dann mit Blick auf den Nutzer auswählen und deklarieren. Also transparent kommunizieren, was verbaut worden ist. Das Wichtigste sei aber eine vernünftige Ausschreibung, in der die Eigenschaften der Produkte genau beschrieben werden. Dies könne auch über entsprechende Labels geschehen. DGNB Vorstand Johannes Kreißig verweist zudem auf die im Rahmen des DGNB Systems entwickelten vier Qualitätsstufen für Bauprodukte. Diese geben Orientierung. Und auch Rudolphi hält fest, die weitaus größte Anzahl an Funktionen im Bauwerk könne sehr gut und auch weitgehend kostenneutral in der höchsten Qualitätsstufe bedient werden. Das sei auch der Anspruch für die Ausschreibung.
Hier können Sie sich die Diskussion noch einmal anhören.
Wissenshappen 3: Raus aus der Komfortzone! Planen mit dem Fokus „Mensch“
Beim dritten und letzten Wissenshappen ging es schließlich um ein auf den ersten Blick sehr individuelles Thema: das Thema Komfort, insbesondere den thermischen Komfort. „Erstmal geht es darum, dass wir Räume schaffen wollen für Menschen, in denen der Mensch im Fokus steht und sich wohl fühlt“, bringt Prof. Thomas Auer, Geschäftsführer bei der Transsolar Energietechnik GmbH und Professor an der TU München, den Kern der Thematik zunächst auf den Punkt. Das Gespräch zeigt jedoch, dass dies beim Thema Komfort nicht an einer definitiven Gradzahl festzumachen ist. Einige der wichtigsten Punkte des Experten für Gebäudetechnologie und klimagerechtes Bauen haben wir aufgegriffen:
- Menschen empfinden dieselbe Temperatur nicht immer gleich. Dennoch ist das Thema bewertbar. „Das Thema ist soweit erforscht, dass wir es bewerten können. Und bewerten können dahingehend, dass wir unter bestimmten Bedingungen sagen können, wie viele Leute sich unwohl fühlen. Also für wievielen Leute wir quasi keinen Komfort erzielen können. Und das Beste, was wir erreichen können, ist, dass fünf Prozent der Nutzer sich nicht komfortabel fühlen“
- Je weniger aktive Gebäudetechnik und dafür mehr passive Maßnahmen desto höher die Akzeptanz der Nutzer: „Faktisch hat die Forschung gezeigt, dass sich genauso viele Leute bei 28 Grad in einem passiv konditionierten Gebäude unzufrieden fühlen, wie bei 25 in einem klimatisierten Gebäude bzw. aktiv konditionierten Gebäude. Das ist kein schlechterer Komfort. Es hängt damit zusammen, wie wir das herstellen.“
- „Je größer das Temperaturband, bei dem wir trotzdem noch Komfort herstellen können, desto besser, gesünder und angenehmer für den Nutzer.“
Auf das richtige Maß kommt es an

Im Lernthema „Raus aus der Komfortzone“ gibt es unter anderem Maßnahmen, die mit Blick auf den thermischen Komfort zu beachten sind. ©Wissensstiftung
Neben diesen sehr praktischen Punkten, weist DGNB Vorstand Christine Lemaitre zudem ganz übergeordnet darauf hin, dass wir mit Gebäuden Menschen prägen und wie wichtig eine kritische Auseinandersetzung mit dem Thema und den Ansprüchen an das eigene Gebäude im jeweils spezifischen Kontext ist. Es ginge darum, das richtige Maß zu finden und sich ganz bewusst zu fragen, „was brauche ich denn. Für wen baue ich? Wie viel baue ich überhaupt? Und eben auch, welche Komfortanforderungen schaffe ich überhaupt?“ Und Thomas Auer betont in seinem Abschluss-Plädoyer: „Wir müssen uns schon klar sein, dass wir als Planer, als Architekten und Ingenieure auch viel Aufklärungsarbeit zu leisten haben. Dass das Teil unseres Mandats ist, dass das eine gewisse Pflicht ist und dass wir das auch mit Mut angehen.“
Das gesamte Gespräch gibt es hier.
3 Tage, 3 Wissenshappen auf den Punkt gebracht
Was lässt sich nun mitnehmen aus drei Veranstaltungen, deren Informationsdichte kaum hätte höher sein können: Viel Wissen steht bereits bereit. Je mehr Menschen sich trauen, den ersten Schritt zu machen und anzufangen, und je mehr motiviert sind, eigene Wissensbausteine zu stiften, umso besser.
Alle Lernthemen der Wissensstiftung finden Sie unter norocketscience.earth. Mehr Informationen rund um die Stiftung gibt es hier. Über neue Lernthemen informiert die Stiftung über ihren LinkedIn-Kanal.