Deutscher Nachhaltigkeitspreis Architektur
Schreibe einen Kommentar

Transformation ins Jetzt: das Unique3

Seit 2013 vergibt die DGNB in Zusammenarbeit mit der Stiftung Deutscher Nachhaltigkeitspreis e.V. den Deutschen Nachhaltigkeitspreis Architektur. Dieser hat sich in den vergangenen Jahren zum führenden Architekturwettbewerb für nachhaltiges Bauen in Deutschland entwickelt. Der DGNB Blog stellt vor der Verleihung am 4. Dezember die drei Finalisten vor.

Teil 2: Das Unique3 in Saarbrücken von Hauser Luft Architektur – die Umwandlung eines Architektur-Denkmals in Wohnflächen.

Die 60er Jahre waren eine Zeit des Aufatmens. Nachkriegswohlstand und Konsumfreude durchzogen weite Teile der Gesellschaft. Das schlug sich insbesondere in Architektur und Design nieder: Architekten wurden innovativer und experimentierfreudiger, probierten neue Materialien oder Grundrisse aus. Eine Energiekrise war noch nicht in Sicht, die Lebenskultur der USA galt als Vorbild. Viele Gebäude imitierten amerikanische Gewohnheiten, Fenster ließen sich nicht mehr öffnen und wurden durch Klimaanlagen ersetzt, Büro- und Verwaltungsgebäude importierten das Konzept des Großraumbüros.

Als der Münchner Architekt Peter C. von Seidlein den Auftrag bekam, ein Siemens Headquarter in Saarbrücken zu entwerfen, hatte er gerade seine Zeit in Chicago beendet. Er war bei Mies van der Rohe zur Schule gegangen. Von Seidlein steckte voller Ideen. Dazu kam: Siemens wollte repräsentativ bauen. Das Projekt sollte großflächig denken, hochwertige Fassadenkonstruktionen und Materialien verwenden. Ein firmeneigenes Kasino sowie Werkstätten sollten in unmittelbarer Nachbarschaft entstehen.

Von Seidlein entwarf einen monolithischen, klar gegliederten Kubus im Stil seines Chicagoer Lehrers. In eine vorgehängte Fassade integrierte er dunkel eloxierte Aluminium-Bleche mit der berühmten „Mies-Ecke“ (eine Art konkave Ecke, die entsteht, wenn die Tragstruktur an dieser Stelle unverhangen bleibt). Außerordentliche Raumtiefen sollten großzügige Gemeinschaftsbüros ermöglichen.

Von 1963 bis 1966 wurde gebaut, bis 2010 residierte Siemens in seinem maßgeschneiderten Firmensitz. 2003 wurde er aus Respekt vor der innovativen Leistung unter Denkmalschutz gestellt.

Bestand aus den 60ern: die Siemens-Zentrale, wie sie war. © Archiv Peter C. von Seidlein

Architekturdenkmal als Wohnkomplex

Danach gerieten die Gebäude in Vergessenheit. Siemens gab das Areal auf und zog an den Stadtrand. Von Seidleins Projekt, einst ein Symbol für fortschrittliche Architektur in Saarbrücken, stand die darauffolgenden Jahre leer. Der Architekt verschwand zu großen Teilen aus dem öffentlichen Gedächtnis. Die Stadt Tübingen riss ein eigenes Gebäude von ihm ab.

2014 erwarb die Saarlouiser Immobiliengesellschaft Bauwerk das Objekt und beauftragte das Architekturbüro Hauser Luft Architektur, es in Wohnanlagen umzuwandeln. „Es gab viele ungewöhnliche Voraussetzungen bei diesem Projekt“, sagen die Saarlouiser Architekten Erik Hauser und Tassilo Luft. „Das gesamte Areal musste in die Planung einbezogen werden, womit verhindert werden sollte, dass sich potentielle Investoren nur die Sahnestücke herauspicken. Somit hatten wir mit denkmalgeschütztem Bürogebäude, Casino und Werkstätten eine maximal heterogene To-do-Liste zu bewältigen.“

Die Gebäudehülle des Kubus, seinerzeit fortschrittlich in Anmutung und Gestalt, war eine energetische Katastrophe. Die Grundrisse und Raumtiefen der Großraumbüros eigneten sich nicht für einen Wohnungsbau. Zudem unterlagen die Gebäude strengen Auflagen des Denkmalschutzes: der Charakter als Baudenkmal sollte auch nach dem Umbau erhalten bleiben.

Drei Gebäudetypen

Das Büro ging 2015 die Herausforderungen an: Im ehemaligen Kasino sollten sogenannte Garden Lofts entstehen – Apartments mit entweder eigenen Gärten oder großen Loggiabereichen und Pflanzbeeten sowie bis zu vier Meter hohen Decken. Für den Bereich der ehemaligen Werkstätten plante das Team ebenfalls Aufstockungen in Holzbauweise mit divers konzipierten Wohnungen, um den verschiedenen Wohnbedürfnissen zeitgemäßer Gesellschaften zu begegnen. Das eigentliche Herzstück blieb jedoch von Seidleins Kubus. Kurzerhand umbenannt in Cube, sollten darin anspruchsvolle Lofts sowie Gewerbeflächen entstehen.

Ein Name für das ungewöhnliche Projekt war schnell gefunden: Unique3, drei einzigartige historische Bauten, aus denen charakterstarke Wohngebäude entstehen sollten.

Umwandlung: Der Kubus ist heute ein Wohngebäude. © Iris Maria Maurer © Unique SB Entwicklung GmbH & Co. KG

Energetisch nicht sanierbar

Die energetisch hochgradig defizitäre Gebäudehülle des Cube erwies sich als besonders problematisch. Da gleichzeitig die historische Architektursprache erhalten werden sollte, entwickelte das Team die Idee, grundlegende Änderungen einfach im Innen statt im Außen durchzuführen. Das Ergebnis: eine zurückgesetzte zweite Fassade hinter der von Seidlein-Konstruktion. Dadurch konnten gleichzeitig die Raumtiefen reduziert werden. Zudem entstanden zwischen den beiden Gebäudehüllen Freiräume. Durch die partielle Entnahme von Glaselementen der historischen Fassade und zurückhaltendem Einbau von Metallgeländern kreierten die Planer neuen Loggien, ohne die Bausubstanz direkt zu verändern. „Die Grundidee, um das Gebäude in Sachen Energiebilanz ins Jetzt zu holen, war eine Art Haus im Haus“, fasst Hauser den Vorgang zusammen.

Für die Transformation der Großraumbüros und industriell geprägten Bereiche machte das Büro aus der Not eine Tugend. Tassilo Luft beschreibt den Vorgang so: „Wir wollten die Ausführung und Geschichte des Gebäudes sichtbar machen – auch nach der Sanierung, auch nach der Umwandlung in Wohnflächen. Gestalterische Ehrlichkeit kann einen ganz eigenen Charme ausüben, vorausgesetzt sie wird stilvoll inszeniert“. Dafür ließen die Planer originalen Materialien ihre rauen Oberflächen, verzichteten an vielen Stellen auf Verkleidungen und ließen massive Rippendecken frei sichtbar.

Bis 2018 dauerten die drei Bauabschnitte an. 91 neue Wohnungen sind auf diese Weise am Rande des Saarbrückener Stadtzentrums neu entstanden: vom effizienten Single-Apartment bis zum großzügigen Loft mit Zimmern über zwei Etagen inklusive Galerie.

  • Lageplan der drei Gebäudetypen (© Hauser Luft Architektur)

Urban Style geht auch in gemütlich

Heute besticht vor allem der Cube den gemeinen Passanten im Quartier Unique3. Von Seidleins Hauptgebäude ist eine Art lebendes Architekturdenkmal, ästhetisch in den 60ern verhaftet, in Bezug auf die nachhaltige Qualifizierung des Gebäudebestands jedoch ganz im Hier und Jetzt etabliert.

Die Wohnungen verbinden Loftatmosphäre mit Industriecharme. Die energetische Bilanz entspricht mit dem KfW 55-Standard zeitgemäßen Ansprüchen. „Wir haben ein überwältigend positives Feedback erhalten. Hierbei wurde oft betont, dass das Sichtbarmachen der konstruktiven Details und somit der Geschichte der Gebäude einen ganz eigenen Charme ausübt. ‚Urban style‘ geht eben auch in gemütlich. Die Altersstruktur der Bewohner ist übrigens bunt gemischt von Jung bis Alt. Der erste Bewohner im Cube war beim Einzug 80 Jahre alt – und wohnt immer noch dort!“, fasst Luft die Reaktionen der Bewohner zusammen.

Unique3 als DNP-Finalist

Zur Definition von Nachhaltigkeit befragt, ist sich Erik Hauser sicher: „Ein Abriss von Gebäuden sollte weitgehend verhindert werden, Nachhaltigkeit hat auch immer etwas mit Zeitlosigkeit zu tun“. Für Altbauten wünscht sich der Architekt eine Überführung in die Neuzeit mittels „sinnvollen und einfachen energetischen Mitteln“. Neubauten sollten durch „intelligente und vorausschauende Planung und den Einsatz ökologischer Baustoffe und Gebäudetechnik“ zukunftsfähig gestaltet werden. „Uns ist es gelungen, das gesamte Siemens-Areal in ein einheitlich strukturiertes, citynahes Wohnensemble umzuwandeln und ein ganzes Quartier damit aufzuwerten. Das ist in unseren Augen Nachhaltigkeit hoch drei. Wir freuen uns sehr, dass das Projekt ein DNP-Finalist ist.“

Was sie anhand des Projekts gelernt hätten? Auf diese Frage sind sich beide Architekten sofort einig und können die Antwort auf drei Worte verdichten: „Mut wird belohnt!“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert