Seit 2013 vergibt die DGNB in Zusammenarbeit mit der Stiftung Deutscher Nachhaltigkeitspreis e.V. den Deutschen Nachhaltigkeitspreis Architektur. Dieser hat sich in den vergangenen Jahren zum führenden Architekturwettbewerb für nachhaltiges Bauen in Deutschland entwickelt. Der DGNB Blog stellt vor der Verleihung am 4. Dezember die drei Finalisten vor.
Teil 1: Das Berliner Holzbauprojekt Walden 48 von Scharabi Architekten in Arbeitsgemeinschaft mit Anne Raupach, ARGE Scharabi | Raupach.
Architektur und Raumgestaltung wirken sich auf die Psychologie des Menschen aus. Einer Anekdote nach waren sie für Winston Churchill sogar eine Grundlage der britischen Demokratie: „Wir formen unsere Gebäude und danach formen unsere Gebäude uns“ soll der Staatschef gesagt haben, um zu verhindern, dass die britische Unterhauskammer umgebaut wird. Er ging davon aus, dass die Debattenkultur des Parlaments auch mit der atmosphärischen Wirkung des Raumes zusammenhinge.
Diese eher spekulative Herangehensweise wurde mittlerweile durch empirisch abgesicherte Erkenntnisse ersetzt. Ein psychosozialer Einfluss von z.B. Wohnhäusern auf seine Bewohner gilt als gesichert.
Der Berliner Architekt Farid Scharabi glaubt fest an Architektur als psychoaktive Einflussgröße. Und vor allem glaubt er an den Baustoff Holz als Trägermedium seiner Werte. In den Entwürfen des Büros Scharabi Architekten geht es um mehr als gebundenes CO2 und die Vermeidung von Stahlbeton im Abbruchmüll: „Jedes Mal, wenn ich einen gut gestalteten Holzbau betrete, bin ich aufs Neue überrascht von der Atmosphäre und dem menschlichen Maß der Gebäude“, sagt der Berliner im Gespräch. „Für mich zählt die Identifikation mit einem Bauwerk. Ich will positive Alltagserfahrungen für Menschen schaffen, die eine nachhaltige Lebenswelt gestalten möchten. Es geht mir um die Aufwertung von Lebensumständen.“
Entscheidung via Schwarmintelligenz
Das Projekt Walden 48 stellte jedoch auch Scharabi Architekten vor unbekannte Herausforderungen: in dieser Größe hatte das Büro noch nie geplant. Der Standort, direkt an der Landberger Allee, einer vierspurigen Straße inkl. Straßenbahn, schien denkbar ungünstig für ein großes Wohngebäude. Der Verkehrslärm drang mit der Intensität einer Waschmaschine im Schleudergang an das Baufeld.
Dazu kam: Der Bauherr, eine Baugemeinschaft aus den zukünftigen Wohnungseigentümern, erhielt maximales Mitspracherecht. Von den Grundrissen, über die Wohnungsausstattung bis zur Materialwahl sollten möglichst viele Entscheidungen streng demokratisch gefällt werden.
Das Team generierte dafür einen geöffneten Planungsprozess: Entscheidungen wurden durch eine Art „Schwarmintelligenz“ nach gemeinschaftlichen Diskussionen gefällt. Das bedurfte einer deutlich längeren Vorlaufzeit, zahlreichen Zwischenschritten, guter Dokumentation, Flexibilität und Ausdauer. Für Architekten und (Fach-)Planer kamen die Termine zeitweise kleinen Achterbahnfahrten gleich: „Der Planungsprozess gerät so dynamisch, dass vieles unvorhersehbar wird“, erinnert sich Scharabi.
„Das Bauen mit Holz ist nicht teurer“
Trotz dieser generellen Diskursfähigkeit der Planung rückte ein konzeptueller Leitgedanke sowohl für die Bauherrengemeinschaft als auch für das Entwurfsteam nicht aus dem Fokus: Lebenswerten Wohnraum für Menschen schaffen, der ihnen Schönheit, eine gesunde Umgebung, Chancen für Gemeinschaft und ein hohes Maß an Identifikation bietet.
Die Bauphase blieb für das gesamte Büro, das bereits eine Reihe von Holzkonstruktionen realisiert hatte, weiterhin ein Lernprozess. Zwar konnten nicht alle Ideen wie ursprünglich angedacht realisiert werden. So musste eine reine Holzdecke ersetzt werden durch eine Holz-Beton-Verbunddecke, nachdem sich die Baugemeinschaft für einen Betonanteil ausgesprochen hatte. An anderen Stellen konnte Scharabi jedoch wichtige Lerneffekte für zukünftige Holzkonstruktionen mitnehmen: so geschehen bei zweischichtig gedämmten Holzwänden mit Schieferverkleidung, die das Lärmproblem lösten.
Viele Bautechniken im Holzbau befinden sich noch in der Erprobung. Das hat zur Folge, dass die Gebäude, mehr als im mineralischen Bauen, Prototypen bilden. Überdies ändern sich die baurechtlichen Rahmenbedingungen in engen Zeitabständen. Daher ergeben sich beim Bauen mit Holz für Planer regelmäßig unbekannte Aufgabenstellungen und in der Folge Lernschritte und Lösungswege. Eines hat das gesamte Team jedoch bestätigt bekommen: „Das Bauen mit Holz ist nicht teurer. Diese Rechnung gilt – wenn überhaupt – für einen unverantwortlich kurzen Zeithorizont“, resümiert Scharabi. Neben den Kosten konnte auch die Bauzeit durch die Arbeit mit vorgefertigten Holzelementen signifikant gesenkt werden.
Gebäuderiegel im Schwebezustand
Das fertiggestellte Projekt ist ein dynamischer Gebäuderiegel mit großen Balkonflächen, dem man seine besondere Materialität spontan ansieht. Durch eine sorgsam erhöhte Sockelzone scheint er sich nicht hinter der historischen Backsteinmauer, die teilweise das Gelände umgibt, zu verstecken, sondern gleichsam darüber zu schweben. Die Bewohner der 43 Eigentumswohnungen haben freie Sicht auf ausgedehnte Grünflächen, alte Bäume und einen historischen Friedhofspark. Dahinter sieht man den Berliner Fernsehturm. Gemeinschaftsräume und eine Dachterrasse ermöglichen eine große Bandbreite an Begegnungspotenzial für die Bewohner. Hinter dem Gebäude blieb genug Raum für Gärten. Das ausgeführte Energiekonzept des Massivbaus weist nur 55 % an jährlichem Primärenergie-Verbrauch aus im Vergleich zu einem konventionellen Neubau.
Scharabi selbst hofft indessen, dass der Anspruch des Projekts Schule macht. „Holzbau sollte bis zum Jahr 2030 eine tragende Rolle im europäischen Wohnungsbau spielen“, überlegt der Architekt in Bezug auf die Zukunft urbanen, großformatigen Holzbaus, „also mindestens 25 % des Bauvolumens erbringen. Für den gewerblichen Sektor wäre das gleichermaßen wünschenswert, realistisch erscheint mir hier jedoch ein Anteil von 15 %, wiederum gerechnet über alle Sektoren.“
Insbesondere im Bereich der bis zu zehngeschossigen Bürobauten sollte ein deutlich höherer Anteil erzielt werden, wenn es nach Scharabi geht. Der Architekt hält ca. 20 % für realistisch. Bauten für Gesundheit und Bildung sollten seiner Meinung nach zukünftig die Speerspitze im Holzbau bilden – Scharabi hofft auf die Hälfte aller Neubauten in diesem Bereich in Holz- oder Holz-Hybridbauweise.
Walden 48 in der Endauswahl des DNP
Auf die Frage nach dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis Architektur zeigt sich Scharabi von den Qualitäten des Projekts überzeugt: „Das Walden 48 ist zurecht unter den Finalisten, denn das Gebäude rückt das menschliche Individuum in den Fokus. Das ist ein zeitloser nachhaltiger Wert von Architektur.“
Was für ihn nachhaltige Architektur denn im Generellen ausmache? „Solche, die sich gestalterisch nicht nach Moden richtet, technisch mehr als das aktuell zwingend Erforderliche leistet und sozial motiviert ist. Architektur wird abseits der Herangehensweise zudem durch die Anwendung nachhaltig erwirtschafteter und zirkulär verwendbarer Rohstoffe nachhaltig.“
Das Material Holz, Leitmotiv vieler seiner Entwürfe und Schlüssel zu den Qualitäten des Walden 48, eignet sich laut Scharabi dabei bestens für die Dimension Zeitlosigkeit: „Holz ist dauerhaft und hat Stahl, Glas, Stein oder Beton einiges voraus – kein Baustoff altert mit der gleichen Würde wie Holz!“