Noch vor wenigen Jahren suchte man nach den Schlagworten Nachhaltigkeit und Klimaschutz im Messe- und Konferenzprogramm der Internationalen Fachmesse für Immobilien und Investitionen nahezu vergeblich. 2022 ist dies anders. Drei Buchstaben – E, S und G – prangten an vielen Messeständen und deuten an, dass die Branche ihren Weg zu mehr Nachhaltigkeit sucht. Doch was steckt wirklich dahinter? Dieser und weiteren Branchenfragen ging die DGNB auf der Expo Real in Diskussionsrunden an ihrem Gemeinschaftsstand nach. Ein Rückblick.
Dass einige Vertreter der Branche den Weg hin zu mehr Nachhaltigkeit bereits ambitioniert beschreiten, zeigt ein kurzer Blick auf die DGNB Auszeichnungsbilanz der Expo Real: Rund 50 DGNB Zertifikate wurden verliehen. Darunter das Projekt EDGE Südkreuz mit der höchsten Zertifizierungsbewertung in der Geschichte der DGNB (95,4%) inklusive eines DGNB Diamants. Darüberhinaus gab es die ersten beiden offiziellen QNG-Siegel für die Fertighaushersteller Hanse Haus und Bien-Zenker, mehrere ESG-Verifikationen zur EU-Taxonomie und eine neue DGNB anerkannte Dienstleistung.
ESG: Ein differenzierter Blick ist gefragt!
Doch auch abseits dieser Verleihungen war zu erkennen, dass sich immer mehr Akteure aktiv mit den Themen auseinandersetzen, insbesondere mit den Möglichkeiten und Anforderungen im ESG-Kontext. Doch wie weit ist die Entwicklung hier bereits? Unter dem Titel „Jenseits des Hypes: Wieviel Substanz steckt im ESG-Boom von heute?“ organisierte die DGNB im Rahmen der Expo Real ein Panel, um einen differenzierten Blick auf eben diese Frage zu werfen.
Was bereits der kurze Eingangsvortrag von Ursula Hartenberger, Secretary General der Climate Positive Europe Alliance, zeigte: Das Thema hat in den vergangenen Jahren enorm an Relevanz zugenommen, wobei Risikomanagement laut einer CPEA-Umfrage ein treibender Faktor für das Engagement in diesem Bereich ist. Gleichzeitig zeigte eben diese Umfrage, dass die Herausforderungen vielfältig sind. Hartenberger benennt unter anderem den Mangel an verlässlichen Daten sowie einheitlichen Standards, regulatorische Inkonsistenz, die allgemeine Komplexität des Themas und mangelndes Wissen – um nur einige zu nennen. Darüber hinaus stellt sie fest, dass aktuell ein Großteil des Engagements auf E (Environment) entfällt. Nur wenige setzen sich bisher mit sozialen Themen auseinander. Noch weniger mit Governance-Themen oder dem Zusammenspiel der drei Bereiche.
Loslegen heißt das Credo
Doch bei allen (vermeindlichen) Hürden war die Runde positiv gestimmt. So apellierte Hartenberger, die aktuellen Entwicklungen als Chance zu sehen. Und Moderatorin und DGNB Vorstand Dr. Christine Lemaitre warf ein, das größte Risiko sei es, nicht zu handeln.
Mit Blick auf die Vertragsgestaltung bei Projekten betont Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht Dr. Florian Dressel (Kapellmann und Partner Rechtsanwälte) die Relevanz der Transparenz. Es gelte, das gemeinsame Verständis der Begrifflichkeiten im ESG-Kontext zu klären und festzuhalten.
Perspektivisch seien einheitliche Kriterien wichtig, um „ESG-Washing“ zu vermeiden, sowie eine länderübergreifend einheitliche Datenbasis, auf der das Reporting aufsetzen könne, so DGNB Vorstand Johannes Kreißig. Mit dem DGNB System für Gebäude im Betrieb biete die DGNB zudem ein Tool an, dass bereits heute bei der Umsetzung der ESG-Anforderungen untertützen kann.
Dieses komme auch bei PATRIZIA zum Einsatz, um Gebäude systematisch zu verbessern, so Asset Manager Konrad Hedemann (PATRIZIA). Er verweist zudem auf die ESG-Verfikation zur EU-Taxonomie, die seiner Einschätzung nach künftig an Bedeutung zunehmen werde.
Am Rande der Expo Real haben wir ausführlich mit Expertinnen und Experten zum Thema ESG gesprochen.
Der Gebäuderessourcenpassen: ein wichtiger Schritt in Richtung Kreislaufwirtschaft
An Relevanz zunehmen, dürfte künftig auch das Thema des zweiten zentralen DGNB Panels auf der Expo Real: der im Koalitionsvertrag der Bundesregierung angekündigte Gebäuderessourcenpass. Die DGNB hatte hierzu im Juli einen Entwurf veröffentlicht und bis September 2022 zur Diskussion gestellt. Im Wesentlichen gehe es bei diesem Tool um die Inventarisierung von Materialien in Bauwerken, so Prof. Dr.-Ing. Patrick Teuffel (CIRCULAR STRUCTURAL DESIGN), der an der Entwicklung mit beteiligt war.
Neben Transparenz und einem gesteigerten bewussten Umgang mit Materialien, den ein solches Tool schafft, gingen mit einer breiten Nutzung noch eine Vielzahl weiterer Chancen einher, wie Dr. Anna Braune, DGNB Abteilungsleiterin Forschung und Entwicklung, im Interview aufzeigt:
In ihren Interivews sprechen die Referentinnen und Referenten der Diskussionsrunde zum Gebäuderessourcenpass noch einmal vertieft über das entwickelte Tool.
Um den Stellenwert eines solchen Tools einordnen zu können, müsse man verstehen, „was wir für eine riesen Zeitenwende vor uns haben. Wir wollen ja einsteigen in die Kreislaufwirtschaft“, erläutert zudem Bundesbauministerin Klara Geywitz im DGNB Interview am Rande der Messe. Und Prof. Andrea Klinge (FHNW, ZRS Architekten) appelliert im Rahmen der Diskussion zum Gebäuderessourcenpass direkt an die Bauherren. Es sei eine Möglichkeit, zu bilanzieren, was zukünftig zur Verfügung stehe. Das Bauwerk sei ein Ressourcenlager, das man künftigen Generationen zur Verfügung stellt.
Wichtig ist Markus Müller (Architektenkammer Baden-Württemberg) bei alledem eine verlässliche Regulatorik. Man brauche Sicherheit und einen Rahmen, wie man Materialien weiterverwenden kann. Einem Praxistest wird das neue Tool von Thomas Kraubitz (Buro Happold) unterzogen, der den Gebäuderessourcenpass bereits bei ersten Projekten einsetzt.
Sie wollen mehr erfahren? Die DGNB hat am Rande der Expo Real noch mit einigen weiteren Akteurinnen und Akteuren der Branche vertieft gesprochen. Alle Interviews finden Sie hier.
Mehr zum zirkulären Bauen erfahren Sie darüber hinaus in diesem Beitrag. Zu den Themen Sustainable Finance und ESG informiert die DGNB auf ihrer Website.