DGNB Jahreskongress 2023
Kommentare 1

Wie Gebäude zu CO2-Senken werden

Biobasierte Werkstoffe

Ohne CO2-Senken werden wir die Klimaziele nicht erreichen. Das sagt der Weltklimabericht, der von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern weltweit geschrieben wurde. Gebäude können Kohlenstoff in der Gebäudekonstruktion dauerhaft einspeichern und haben damit großes Potenzial. Wie das gelingen kann, diskutierten Expertinnen und Experten im Rahmen des DGNB Jahreskongresses.

BLOGSERIE ZUM DGNB JAHRESKONGRESS 2023 (TEIL 7)
Am 14. und 15. Februar fand der zweite digitale Jahreskongress der DGNB statt. In Impulsen und Gesprächsrunden wurden hier Entwicklungen zu vielfältigen Aspekten des nachhaltigen Bauens besprochen. Die Blogserie gibt einen Rückblick und fasst zentrale Botschaften zusammen.

 

„Wie Gebäude zu CO2-Senken werden können“ – das Thema der digitalen Paneldiskussion trifft voll ins Schwarze. So sieht es zumindest Moderator Martin Prösler, der auf die hohe Teilnehmerzahl blickt und das Thema bereits mit seinen Kolleginnen und Kollegen im DGNB Innovationsbeirat diskutiert hat. Viel gesprochen wird in Politik und Gesellschaft bisher über die Dekarbonisierung unserer Welt, also die Reduktion des tagtäglichen CO2-Ausstoßes durch die Umstellung unserer Wirtschaftstätigkeiten und unseres Verhaltens.

Weniger zur Sprache kommt dagegen das Thema, CO2 ganz gezielt der Atmosphäre zu entnehmen. Die Branche steht noch am Anfang und das muss sich ändern, findet Dr. Anna Braune, Abteilungsleiterin Forschung und Entwicklung der DGNB und eine der drei Diskussionsteilnehmenden. Um die globalen Klimaziele zu erreichen, muss deshalb parallel zur Dekarbonisierung bereits mit der CO2-Entnahme angefangen werden. Das heißt laut Braune, Böden und Pflanzen wertschätzen, natürliche Senken als Verbündete sehen und Kapazitäten für den technologischen Bereich aufbauen.

Zwei Wege zur CO2-Entnahme aus der Atmosphäre

Was hier angesprochen wird, sind zwei Wege der CO2-Entnahme. Bekannt ist der Begriff „carbon capture and storage“ (CCS). Er meint ein technologisches Verfahren, das CO2 in Prozessen abscheidet, aufbereitet, komprimiert und an einer Speicherstätte dauerhaft einlagert. Der zweite Weg nutzt das Potenzial natürlicher Ökosysteme zur Speicherung von Kohlenstoff. Das sind beispielsweise natürliche Reservoire wie Wälder, Böden, Moore und Ozeane. Diese zu erhalten ist wesentlich für die Erreichung der Klimaziele. Es ist folglich nicht gut, wenn beim Bauen Flächen versiegelt werden, die als CO2-Senken dringend benötigt werden.

Gebäude als CO2-Senken verstehen

Und doch ist Braune überzeugt: der Bausektor kann einen aktiven Beitrag zum Klimaschutz leisten. Und zwar wenn Gebäude vom großen CO2-Verursacher zu aktiven Unterstützern der Energiewende werden, indem sie CO2-neutral betrieben werden und die Atmosphäre als reale CO2-Senke reinigen. Das wird möglich, wenn in der Baukonstruktion Kohlenstoff dauerhaft gespeichert und am Standort Flächen entsiegelt werden, sodass Pflanzen wachsen können. Dabei denkt sie in erster Linie an die Sanierung des Bestands. Denn Neubau sollte sowieso nur stattfinden, wenn unbedingt nötig.

Während Braune einleitend einen Überblick zu den technischen Verfahren zur CO2-Entnahme aufzeigt, dreht sich die folgende Diskussion ausschließlich um die natürlichen Senken. Die Diskutanten scheinen hier das große jetzt anwendbare Potenzial zu sehen. Mit dabei sind Dr. Philipp Bouteiller, Geschäftsführer von Artprojekt Entwicklungen und Prof. Dr. Harald Garrecht, Direktor des Instituts für Werkstoffe im Bauwesen an der Universität Stuttgart.

Grafik Gebäude als CO2-Senke

Ansätze und Beispiele für CO2-Senken im Baubereich

Vielfalt an biobasierten Werkstoffen nutzen

Einer der ersten Baustoffe mit kohlenstoffsenkender Wirkung, die genannt werden, ist Holz. Kein Wunder, das Baumaterial erfährt in letzter Zeit große Beliebtheit und ist gut geeignet für das Bauen. 600-800 kg CO2 speichere eine Tonne Holz laut Dr. Philipp Bouteiller, der als langjähriger Geschäftsführer von Tegel Projekt für ein Modellquartier des urbanen Holzbaus in Deutschland verantwortlich war. Beim Holzeinsatz im Bauen sei aber eine differenzierte Betrachtung unbedingt nötig, warnt Braune. So sei es beispielsweise nicht Sinn der Sache, dass mehr Holz als nötig eingesetzt wird, nur um die CO2-senkende Wirkung für eine niedrigere CO2-Bilanz des Gebäudes zu nutzen.

Warum, fragt sie zudem, erfährt nur das Material einen Hype, das am langsamsten wächst? Sie nennt Pilze beziehungsweise gezüchtetes Pilzmyzel, das bereits in Form von Akustikpaneelen auf dem Markt ist oder Naturfasern wie Seegras oder Hanf und Flachs, die als Dämmungen dienen. „Das sind so tolle Entwicklungen. Die zarten Pflänzchen, die vor Jahren an Universitäten angefangen haben – heute gibt es Unternehmen, die sich ganz verstärkt mit dem Einsatz solcher biobasierten Materialien auseinandersetzen.“ Werkstoffe, die auf Basis nachwachsender Rohstoffe hergestellt werden, finden langsam ihren Weg zur Standardisierung, meint Prösler. Er verweist zudem auf einen Brückenbau, der mit Flachsfasern und Biopolymeren bewerkstelligt wird. Damit sei die ganze Bandbreite abgedeckt, von der Dämmung bis zum Tragwerk.

Besonderes Potenzial sehen die Diskutanten in der Verwendung von Biomasse, die eigentlich zum Abfallprodukt würde. „Auf 10 Tonnen Risottoreis in Italien kommen 11 Tonnen Spelzen und Halme – was, dann oft gemacht wird, ist, diese auf dem Feld zu verbrennen“, erzählt Prösler. Ein ihm bekanntes Start-up macht daraus Baumaterialien. Garrecht nennt in dem Zusammenhang einen seiner ehemaligen Doktoranden, der zu Reisstrohbeton für Landwirtschaftsbauten promoviert hat.

Biobasierte und mineralische Stoffe kombinieren

„Wie sieht es mit dem Brandschutz aus?“, ist eine Frage, die häufiger aus dem Publikum kommt. Großes Potenzial sieht Garrecht in der Verbindung organischer und mineralischer Stoffsysteme. Bereits in der Vergangenheit wurden diese Gemische gekoppelt, um Biomasse unter brandschutztechnischen Aspekten stärker im Bauwesen einsetzen zu können. Beispielsweise wurden vor 20 Jahren in Baden-Württemberg Hanfkalkgemische erforscht. Als sie schließlich marktfähig waren, fiel die Subvention für Hanfanbau für Bauern weg und es gab keinen Hanf mehr. In Frankreich und England werde damit heute noch sehr erfolgreich gebaut.

Als weiteres Beispiel nennt er Holzbetone. Dabei werden anstatt Kies und Sand Holzspäne als Abfälle aus der Holzindustrie eingesetzt, hinzukommen Zement und Wasser. Problematisch sind dabei noch Reaktionen, die die Festigkeit unterbinden. So sei die Herstellung für großformatige Bauelemente noch schwierig. Aber auch daran würde geforscht. Als Alternative für den CO2-intensiven Zement sieht er klinkerreduzierte Elemente oder Biopolymere. „Ich bin sehr zuversichtlich, dass hier für das Bauen oberhalb der grundwasserführenden Schichten viel Potenzial vorhanden ist“.

Alle müssen an einem Strang ziehen

Dass Baustoffe aus Hanf, Stroh und Holz auch wirklich in die Umsetzung kommen, ist ein wesentliches Ziel im Projekt „Baucampus“ der Artprojekt Entwicklungen. Viel zu oft scheitere laut Bouteiller die konkrete Anwendung auf der Baustelle, mitunter durch die fehlende Schulung der Handwerkerinnen und Handwerker. „Wissen wie es geht, reicht nicht, wir müssen auch die Ausbildung entsprechend vorantreiben und dafür sorgen, dass es auf der Baustelle zum Einsatz kommt“, betont er und appelliert an die Ausbildungsbetriebe. Und Braune wendet sich an Unternehmen mit der Bitte, großflächig Kapazitäten aufzubauen. „Wir müssen verstehen, dass es ohne diese Senken und das Stabilisieren von Kohlenstoff in Produkten kein stabiles Klima für diesen Planeten geben wird.“ Das Erfolgsrezept für eine großflächige Anwendung CO2-senkender Baumaterialien ist zwar nichts Neues, aber deshalb nicht weniger wichtig: Alle müssen an einem Strang ziehen.

Neugierig geworden? Zum Nachschauen gibt es hier die ganze Diskussionsrunde „Neue Rolle für den Bausektor: Wie Gebäude zu CO2-Senken werden können“

1 Kommentare

  1. Interessant. Staatliche Förderung für vertikal bepflanzte Gebäude und Flachdächer wäre sicherlich auch ein Ansatz.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert