Ein Gebäude in seiner Gesamtheit verstehen und optimieren, einen ästhetisch-funktionalen Firmensitz schaffen, das Fahrrad als Lebenseinstellung cool machen, eine zeitgemäße Nachhaltigkeit leben, sein Business vorantreiben – Unternehmer Dirk Zedler hat sich mit einem einzigen Bauprojekt so viel vorgenommen, dass es für einen ganzen Stadtteil gereicht hätte. Über ein Projekt, das die DGNB Zertifizierung für Gebäude im Betrieb dazu nutzt, um alles mit allem zu verbinden.
„Ich wollte mein Business schon immer nachhaltig organisieren“, sagt Dirk Zedler. Er sitzt in seiner Firmenzentrale, der Zedler Fahrradwelt am Rande von Ludwigsburg, einem Städtchen nördlich von Stuttgart, das eigentlich bekannt ist für eine barocke Schlossanlage. „Was ich nie wollte: Nachhaltigkeit nach Art eines Moduls installieren. Vielmehr sollte es als eine Art Filter über allem liegen. Denn nur so wird ein Business nachhaltig und nicht Nachhaltigkeit ein Business.“ Nachdem sein Firmensitz mit Bestwerten in Platin nach dem System für Gebäude im Betrieb zertifiziert wurde und zusätzlich die Auszeichnung Klimapositiv erhielt, möchte er heute Bilanz ziehen. Was ist in den letzten Jahren hier passiert?

Klimapositiv: Dirk Zedler nimmt die Auszeichnung für sein vorbildhaftes Gebäude von Johannes Kreißig (DGNB) in Empfang.
Wo anfangen?
Die Geschichte beginnt im Jahr 2014. Dirk Zedler sitzt in einem angemieteten Gebäude und ist unzufrieden. Sein Institut testet und prüft Fahrräder hinsichtlich Haltbarkeit, Sicherheit und Nutzerfreundlichkeit, erstellt Gutachten und Schadensanalysen sowie technische Dokumentationen wie Bedienungsanleitungen und Risikoanalysen. Fahrradhersteller und -entwickler sowie Gerichte und Versicherer aus der ganzen Welt sind bei ihm Kunde. Aufgrund der Prüflabore, in denen zahlreiche Maschinen meist auf Hochbetrieb laufen, hat das Unternehmen einen hohen Energieverbrauch. Gleichzeitig ist das Raumklima schlecht. Zwar betreibt er die Firma schon mit Strom aus Wasserkraft, experimentiert mit Prinzipien der Energieumwandlung wie einem Wärmetauscher. Jedoch wird ihm bald klar: Er will etwas ändern. Nur – wo anfangen?

Naturverbunden: Um das Gebäude gibt es Blumenwiesen. © Zedler-Institut
Als erstes vergibt er eine Bachelorarbeit zu Themen des Energiemanagements in den hauseigenen Laboren. Schnell fasst Zedler den Entschluss: Er will selbst bauen. Das Gebäude soll für die eigenen Ansprüche maßgeschneidert sein, gleichzeitig das ästhetische Empfinden der Mitarbeiter, Kunden und Besucher nicht als unterkühlt-funktionaler Zweckbau unterfordern. Die Funktions- und Wirkungssphären sollen in der Summe wirklich nachhaltig sein, anstatt nur Bilanzen gegeneinander auszuspielen.
Er entscheidet sich für das Architekturbüro Kelzenberg + Jahnke als Partner, das eine Zusatzqualifikation im Bereich Energiemanagement besitzt. „Das Büro hat vor dem Entwerfen viel Grundlagenarbeit geleistet“, erzählt Architekt Markus Kelzenberg. „Wir sind den bisherigen Firmensitz Stück für Stück durchgegangen, so konnten wir Wünsche und Ansprüche bereits sehr konkret ableiten.“
Die Freiheit des Entwurfs
Zedler und Harald Jahnke, der den ersten Entwurf anleitete, nahmen sich Zeit, zu diskutieren. Dinge in den Raum zu stellen. Vorschläge zu machen. „Wir haben Entscheidungen immer wieder infrage gestellt, Beschlossenes wieder verworfen. Das war sehr intensiv, aber nur so gelangten wir zu einem Entwurf, der klar strukturiert, dennoch extrem vielseitig ist und auch die Details der sehr diversifizierten Nutzung bis ins Letzte durchdenkt“, berichtet Zedler. Der Spatenstich erfolgte im Jahr 2016.
Das fertige Gebäude erinnert eher an eine pragmatische Stadtvilla als an einen Industriebau. Naturbelassene Lärche umkleidet als Holzverschalung ein Betonskelett. Ein extrem helles, raumgreifendes Entrée über mehrere Etagen öffnet das Haus zum Außenraum. Im Gebäudeinneren treffen die beiden Pole Massivholz und Beton immer wieder aufeinander, unterbrochen von großen Fensterflächen. Der Entwurf inszeniert Fahrräder bzw. Bauteile nach Art einer Liebeserklärung an ein großartiges Verkehrsmittel. Da in allen außen liegenden Fensterbereichen Räder installiert sind, wirkt das ganze Gebäude aus der Ferne gar wie ein Setzkasten für Zweiräder. Historische Exponate zeichnen die Entwicklungsgeschichte nach: „Mein Pendant zum Porsche-Museum“, lacht Zedler.

Die Dreifaltigkeit aus Beton, Glas und Holz kommt im Eingangsbereich besonders gut zur Geltung. © Zedler-Institut
Im Sommer 2017 wird der neue Firmensitz bezogen und in Betrieb genommen. Doch die anfängliche Euphorie weicht Ernüchterung. Der Energieverbrauch ist erstaunlich hoch, das Raumklima trotz der guten Dämmung samt Lüftungsanlage im Sommer ungenügend. Das Gebäude performed unter den Erwartungen. Zedler ist enttäuscht. Was hat er falsch gemacht?
„Damals habe ich verstanden, dass die Installation von Systemen und Technik lediglich Voraussetzungen schafft. Ohne die Kontrolle und eine entsprechende Anpassung der Gebäudeausrüstung erreicht man seine Ziele nicht.“ Er fragte sich: Wie genau entsteht welcher Wert? Welche Werte sind überhaupt wichtig? Was lohnt es sich, zu messen?

Im ersten Stock befindet sich die Küche. © Dietmar Strauß
Entscheidung für Zertifizierung nach Gebäude im Betrieb
Um die benötigte Datengrundlage zu schaffen, beschließt er, das gesamte Gebäude in Messdaten zu erfassen und das über einen längeren Zeitraum. Jeder Kompressor erhielt einen Stromzähler und die Wärmeabgabe der Wärmetauscher wird ebenfalls über Messstationen erfasst. Ein- und Ausgänge einer Zisterne werden monatlich notiert. In dieser Zeit entstand die Idee einer Zertifizierung nach DGNB für Gebäude im Betrieb. Er meldete seine Fahrradwelt für das Audit an.
Erste Erfolge ließen nicht lange auf sich warten: „Bei uns kommen viele Mitarbeiter mit dem Rad und duschen hier im Firmensitz. Daher haben wir morgens einen hohen Verbrauch an Warmwasser. Die Zeitspanne zum Nachheizen war für den Wärmetauscher der Kompressoren viel zu kurz eingestellt. Daher sprangen jeden Morgen die Wärmepumpen und im Extremfall die Heizstäbe im Warmwasserspeicher an, um den Heizvorgang in diesem winzigen Zeitfenster zu schaffen“, erklärt Zedler einen ersten Aha-Effekt, „so etwas fällt erst auf, wenn man wirklich kontinuierlich misst“.

Das Institut setzt auf klare Form in Verbindung mit viel Holz. © Dietmar Strauß
„Die Lernkurve war in den ersten drei Jahren des Gebäudebetriebs wirklich konstant hoch“, ergänzt Lea Heinle, Auditorin der Zertifizierung nach Gebäude im Betrieb. „Die Datensituation war nach drei Jahren sehr reichhaltig. Die Komplexität des Zusammenspiels der unterschiedlichen Größen haben mich überrascht und fasziniert.“
Alles auf Anfang
Im Rahmen der Optimierung veränderte sich einiges im Gebäude: „Wir haben damals praktisch die gesamte TGA neu eingestellt“, erinnert sich Zedler. „Wenn die Haustechnik in ihrer realen Performance an den architektonischen Entwurf, die Bauphysik und vor allem an die Benutzergewohnheiten angepasst wird, ändert sich alles“, fasst der Fahrradexperte zusammen.

Geschichte eines Verkehrsmittels: Im gesamten Gebäude sind historische Räder ausgestellt. © DGNB
„Was zudem mein Interesse geweckt hat“, erzählt Heinle weiter, „waren die weiteren Qualitäten des DGNB Systems. Im Bereich ökonomische Qualitäten konnten wir noch einiges dazulernen.“ Das Gebäude performed vor allem in den ökologischen und soziokulturell-funktionalen Qualitäten. Dazu zählt auch der Verzicht auf Lacke, Farben und Gips. Ein integriertes Fotovoltaik-System treibt die Prüflabore an. Die Regenwasserspeicherung in der Zisterne für Toilettenspülung, Fahrradreinigung und Gartenbewässerung brachte zusätzliche Punkte. „Bei der Rezertifizierung wollen wir es dann auch in den ökonomischen Qualitäten an die Spitze schaffen!“, freut sich Heinle auf die Zukunft.
Wie alles mit allem zusammenhängt

Unternehmer Zedler und Architekt Kelzenberg im Eingangsbereich des Gebäudes. © DGNB
Heute empfängt Dirk Zedler oft Schulklassen im Firmensitz. Gemeinsam erkunden sie dann die Geschichte des Fahrrads und diskutieren über Möglichkeiten einer grünen Verkehrswende. Das Thema Nachhaltigkeit kommt dann ganz automatisch auf. „Ich versuche, den Schülern zu erklären, dass im Bereich Nachhaltigkeit alles mit allem zusammenhängt“, resümiert Zedler, „oft sind die Schüler überrascht und gleichzeitig begeistert, wie vielseitig das Thema ist. Ich versuche sie zu ermutigen, das Ganze aus einer neuen Perspektive zu sehen.“
Was sein Gebäude angeht, ist Zedler noch lange nicht am Ende angelangt. Das Institut wächst. Schon denkt der Unternehmer an Modifikationen und Anpassungen am Gebäude nach. Freilich in enger Zusammenarbeit mit Kelzenberg + Jahnke. „Ich bin mir sicher, es wird bei uns noch einiges passieren“, strahlt Zedler, „denn heute weiß ich: Ein Gebäude bedeutet lebenslanges Lernen!“