Nachhaltiger Gebäuderückbau ganz im Sinne der Circular Economy – wie kann er gelingen? Kaufen wir künftig keine Gebäude mehr, sondern mieten wir die Nutzung der Bauteile? Brauchen wir hierzu spezielle Banken? Im Rahmen des digitalen Events „Nachhaltiger Gebäuderückbau im Hier und Jetzt“ haben Experten der Branche ihre Perspektiven geteilt und spannende Ansätze diskutiert. Ein Rückblick.
Es ist eine bunt gemischte Gruppe, die sich im Frankfurter NEXT Studio versammelt hat. Eine Ansammlung an Experten mit ganz unterschiedlichen Perspektiven auf das Thema des Abends, die jedoch alle die Überzeugung von der Relevanz des Rückbaus im Rahmen der Circular Economy eint.

Die Expertenrunde im NEXT Studio
Neben DGNB Vorstand Dr. Christine Lemaitre (dritte v.r.), die die Runde moderiert, und DGNB Präsident Amandus Samsøe Sattler (dritter v.l.), der mit seinem Impulsvortrag ins Thema führt, sind Architektin Jasna Moritz (kadawittfeldarchitektur, l.), Prof. Michael Braungart (Universität Lüneburg, zweiter v.l.), Dr. Werner Jager (WICONA, zweiter v.r.), Dominik Campanella (Restado/Concular, r.), und virtuell dazugeschaltet Manuel Ehlers (Triodos Bank, nicht im Bild) Teil des Podiums.
„Wir müssen lernen, nützlich zu sein“
Wie kann es also gelingen, das tatsächliche Schließen von Kreisläufen und der nachhaltige Gebäuderückbau? Ein Haus, ganz aus gebrauchten und recycelten Materialen: Das wäre laut Amandus Samsøe Sattler das Ergebnis, wenn wir das Thema ganz ernst nehmen würden. Eine Vision und ein eigener Traum, des Architekten, wie er selbst berichtet. Was fehlt ist der Bauherr – aber auch einige grundsätzliche Veränderungen in unserem System und in unserem Mindset, wie die Diskussion zeigt.
Das Mindset – Michael Braungart spricht es bereits in seinem Impulsvortrag eindringlich an. Wollen wir Dinge nachhaltig besser machen, gehe es nicht zuerst um Effizienz, also darum Dinge richtig zu machen. Sondern darum, zu fragen, „was ist gut, also was ist das Richtige und dann erst, wie mache ich es richtig. Und das ist beim Rückbau natürlich eine besondere Herausforderung. Traditionell denken die Leute […], ich kann nur weniger schlecht sein. Aber wir müssen lernen, nützlich zu sein.“
Gute Planung braucht Zeit
Was ist also richtig – genauer nachhaltig? Wie können wir nicht nur weniger schädlich für unsere Umwelt, sondern z.B. klimapositiv sein? Eine Frage deren Beantwortung Zeit braucht. Nicht nur Jasna Moritz betont als Architektin, wie wichtig es ist, der Planung Zeit zu geben. Ein gutes Projekt, wo man auch vielleicht nochmal um die Ecke denkt, könne eben nicht in wenigen Monaten stattfinden. Hier sei es wichtig, auch an die Bauherren zu appellieren und die Themen anzusprechen. Das gelte auch für den Rückbau. „Der Rückbau muss eigentlich etwas Ähnliches sein, wie das Projekt eines neuen Gebäudes. Das heißt, ich brauche einen Planungsprozess, ich brauche eine Ausschreibung, die mir auch sagt, was ich mit dem Material machen soll“, hält Jager fest. Und das brauche eben Zeit.

Fünf Dimensionen eines nachhaltigen Gebäuderückbaus. Sie alle sind bei der Planung zu beachten.
Zeit ist auch ein wichtiger Faktor, wenn es um den Erhalt bzw. den Wiedereinsatz von Ressourcen geht. Mit seinem vorgestellten Konzept, mittels eines digitalen Ökosystems für kreislaufgerechtes Bauen bereits vor dem Rückbau systematisch neue Einsatzorte für verwendete Materialien zu finden, stößt Campanella auf Zustimmung. Ganz konkret heißt das, dass er und sein Team von Concular bei einem Rückbau schon vorher mit Architekturbüros sprechen, in die Gebäude gehen und eine Art Inventur, ein Reuse-Assessment der verbauten Rohstoffe machen. Das Ziel: bis der Rückbau beginnt, haben alle Baustoffe bereits einen neuen Einsatzort. Die Voraussetzung ist auch hier: frühzeitige Planung, ein bis eineinhalb Jahre im Voraus.
Doch wie kann hier Verbindlichkeit bzw. Verlässlichkeit geschaffen werden, dass eben solche Prozesse frühzeitig eingeplant werden? Campanella sieht hier am Anfang vor allem noch die Architekturbüros in der Rolle, Verantwortung zu übernehmen. Ausführlich diskutierte die Runde jedoch auch einen ganz neuen Ansatz: Gebäude als Dienstleistung. Bauteile zur Miete.
Gebäude als Dienstleistung
Was steckt dahinter? Einfach ausgedrückt geht es darum, dass sich jemand für die Wiederverwendung und den Werterhalt der Materialien verantwortlich fühlt bzw. ein Interesse daran hat. Geht das Gebäude in großen Teilen nicht in den Besitz des Bauherren über, sondern verbleibt z.B. bei dem Erzeuger, trete laut Ehlers die Nutzung der Materialien in den Vordergrund und nicht so sehr die Materialien selbst. „Denn am Ende sind es 500 Lux die ich auf der horizontalen Ebene brauche und nicht die Lampe an der Decke“, verdeutlicht er den Ansatz. Bleiben die Materialien im Besitz des Erzeugers, sprächen wir eher von einem Service als Gebäude und nicht von einem Gebäude an sich. Dass es gelingen kann, zeigt die Triodos Bank an ihrem eigenen Headquarter. Hier haben sie, laut Ehlers, eben dieses Prinzip soweit es geht, versucht zu verfolgen.
Ein ergänzender Ansatz: die Etablierung von Material- oder Komponentenbanken. „Der Hersteller muss eigentlich das Material behalten“, stellt Braungart in diesem Kontext fest. Da aber die Kapitalbindung für Hersteller ggfs. zu hoch sei, brauche es Banken, die das Material für die Hersteller übernehmen und es für sie halten. In jedem Fall würde künftig nur noch die Nutzung mit einer definierten Nutzungsdauer verkauft und nicht die Materialien an sich.
Qualitätsstandards auch für wiederverwendete Materialien
Wichtig bei all dem seien aber auch bei wiederverwendeten Materialien Qualitätsstandards. Einfach alle Materialien wiederzuverwenden bzw. zu recyceln, bedeutet zwar sie im Kreislauf zu halten, ist aber nicht immer der nachhaltige oder der „richtige“ Weg, wie Braungart unter anderem mit Beton als Beispiel zeigt. Viele der verwendeten Additive seien nicht für einen Wiedereinsatz geeignet.
Dennoch: Eine Auseinandersetzung, wie wir mit den in unserem Bestand verbauten Materialien arbeiten können, ist zentral. „Ich glaube dieses Auseinandersetzen, das wurde bisher noch nicht so stark gemacht und deshalb ist ja auch dieses DGNB Rückbauzertifikat ein sehr guter Schritt und gibt auch Richtlinien dafür, worauf man achten sollte beim Rückbau, auch in Bezug auf z.B. Stoffe, die in diesen Materialien nicht enthalten sein sollten“, hält Campanella fest.
„Wir müssen alle ran“
Worauf es am Ende übergeordnet ankommt, fasst Dr. Christine Lemaitre am Ende in einem Wort zusammen: Teamwork. „Wir müssen alle ran. Wir müssen alle viel ambitionierter sein. Und wir müssen uns wirklich auch mit dem Thema Rückbau, Bestandsschutz, bewusster Umgang mit Materialien viel mehr und viel aktiver auseinandersetzen.“ Denn dass ein nachhaltiger Rückbau möglich ist, steht außer Frage, wie das erste DGNB Zertifikat für den Gebäuderückbau an das Projekt FOUR Frankfurt als Abschluss des Abends zeigt.
Alle, die nicht live dabei sein konnten, können den Mitschnitt der Veranstaltung hier nachschauen:
Alle Informationen zum DGNB System für den nachhaltigen Gebäuderückbau finden Sie zudem hier.