Interview, Nachhaltiges Bauen, Weltweit
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„Nachhaltiges Bauen muss ein Breitensport werden“

Replizierbare Lösungen für nachhaltiges und klimagerechtes Bauen weltweit: Projekte mit solchen Ansätzen werden durch die internationalen Green Solutions Awards prämiert. Am 10. November fand die diesjährige Preisverleihung im Rahmen der im schottischen Glasgow stattfindenden 26. Weltklimakonferenz statt. Teil der Wettbewerbsjury war Thomas Kraubitz, Director und Leiter für Nachhaltigkeit in Europa bei Buro Happold sowie DGNB Präsidiumsmitglied. Wir haben mit ihm über Entwicklungen der Branche weltweit sowie aktuelle Trends beim nachhaltigen Bauen gesprochen.

Vielfältige Wege zur Nachhaltigkeit

Levke Kehl, DGNB (LK): Herr Kraubitz, kürzlich wurden die internationalen Gewinner der Green Solutions Awards prämiert. Sie waren Teil der Jury. Wenn Sie die Diskussionen während der Sitzung Revue passieren lassen und auch die aktuellen Entwicklungen der Branche in den Blick nehmen: Welche Trends zeichnen sich beim nachhaltigen Bauen ab?

Die Green Solutions Awards sind ein internationaler Wettbewerb für Fachleute aus dem Bereich des nachhaltigen Bauens

Die Green Solutions Awards sind ein internationaler Wettbewerb für Fachleute aus dem Bereich des nachhaltigen Bauens

Thomas Kraubitz (TK): Ein sehr erfreulicher Trend ist zum einen, dass wir inhaltlich bessere Projekte haben. Das heißt, die Entwicklung geht weg von Nachhaltigkeit als etwas Additivem, etwas Aufgesetztem, hin zu integrierter Planung. Die Projekte werden gesamtheitlich gedacht. Man sieht es einem Projekt nicht mehr unbedingt an, dass es nachhaltig ist. Hier gibt es international Ausnahmen, in denen sich Nachhaltigkeit noch stark über die Aura des Projekts definiert. Aber bei den meisten Projekten auch bei den Green Solutions Awards ist das nicht mehr der Fall.

Spannend ist zudem, dass Auftraggeber offenbar vermehrt merken, dass Portfoliothemen wichtig sind. Im Wettbewerb waren einige Projekte von Bauherren dabei, die nicht zum ersten Mal bauen und die für ihre Portfolios auch festgestellt zu haben scheinen, dass es kein Elfenbeintürmchen, kein Leuchtturmprojekt sein muss. Man möchte Standards setzen und mit gutem Beispiel vorangehen. In vielen Projekten war eine Art Selbstverpflichtung zur Nachhaltigkeit erkennbar. Eine schöne Entwicklung zu sehen, dass Nachhaltigkeit schon fast der gute Ton oder ein guter Grundton in diesem Kontext ist.

International noch nicht ganz angekommen, aber in Deutschland erkennbar, ist der Einfluss der ESG-Kriterien. Es gibt viele Aspekte in den Projekten, wo man merkt, dass die Maßnahmen hier ihren Ursprung haben.

Schön zu sehen ist auch, wie vielfältig die Ansätze insbesondere in Europa sind. Wir haben nicht nur einen Weg, um zur Nachhaltigkeit zu kommen, sondern unterschiedliche. Und das sieht man auch in den Projekten. Das ist kulturell bedingt, aber auch an Budgets gebunden und vom Planungsstil beeinflusst. Dies ist vielleicht auch eines der Potentiale, die man international noch mehr nutzen kann.

Nachhaltiges Bauen: Breiten- statt Spitzensport

LK: Heißt das, dass auch die Relevanz der Nachhaltigkeit international überall gleichermaßen angekommen ist?

TK: Ja und nein. Die Notwendigkeit, nachhaltig zu bauen, ist überall angekommen. Das sehe ich auch bei uns in den Angeboten und Projekten. Die Thematik ist überall dabei. Und mit jedem Sturm und durch jedes Hochwasserereignis, wird dies stärker. Beim Umgang mit dem Thema und der Art und Weise, wie es dann wirklich gelebt wird, gibt es allerdings noch Unterschiede.

In manchen Bereichen ist Nachhaltigkeit dann doch noch additiv, wie wir es in Deutschland vor 15 Jahren auch noch hatten. Und auch der ganze Bereich der Ökobilanzierung im Bauen – in Deutschland als Standard anerkannt – ist außerhalb von Europa immer noch ein bisschen ein Novum. Da ist noch Arbeit zu tun. Zudem liegt international der Fokus noch stark auf dem einzelnen Gebäude. Da sind wir in Europa weiter und betrachten Quartiere als eine Ebene, auf der unheimlich viel möglich ist und auf der Nachhaltigkeit wirklich als Basis gesetzt werden kann.

LK: Gibt es Unterschiede im Fokus beim Thema Nachhaltigkeit je nach Region?

TK: Ja, die gibt es. In China ist die Relevanz der Aura nachhaltiger Gebäude zum Beispiel noch zentraler. Das liegt aber hier auch an der Architekturausbildung. Das Gebäude muss einen ansprechen. In den USA ist man aktuell verstärkt auf Portfoliothemen eingestiegen. Hier hat man erkannt, dass Einzelmaßnahmen an sich nicht helfen, sondern es eine Policy geben muss. Bei Ländern, die sich noch mehr in der Entwicklung befinden, steht das Thema lokaler Materialien mehr im Fokus. Das hat zum einen mit der Nachhaltigkeit, zum anderen aber auch mit den damit verbundenen Kosten zu tun. Das ist aber allgemein eine positive Entwicklung, die man auch bei den Wettbewerbsprojekten gesehen hat. Hier wurde versucht mit lokal verfügbaren, kostengünstigen Materialien zu arbeiten. Die Zeiten, in denen wir nach Italien gegangen sind und Marmor gebrochen haben und damit irgendwo einen Aufzugvorraum in der Tiefgarage ausgekleidet haben, die sind vorbei. Vernünftiger Materialeinsatz: Das richtige Material, für den richtigen Einsatz am richtigen Ort.

Je nach Region sind auch die Unterschiede zwischen „Best in class“, also den Elfenbeintürmchen und dem was Baustandard ist, unterschiedlich groß. Es sind die Projekte, die auch für solche Preise wie die Green Solutions Awards vorgesehen werden, die die Spitze bilden. In Deutschland ist das nachhaltige Bauen mittlerweile selbst in Bereichen wie dem geförderten Wohnungsbau angekommen. Aber grundsätzlich haben wir da international alle noch etwas zu tun. Jeder sollte die Möglichkeit haben, Nachhaltigkeit umzusetzen. Im Moment ist nachhaltiges Bauen immer noch ein Spitzensport, Olympia. Es muss aber ein Breitensport werden.

„Was wir jetzt brauchen sind Green Natives“

LK: Die zentrale Frage ist, wie Nachhaltigkeit zum Standard wird. Wo sehen Sie hier Potenziale?

TK: Wir müssen beim Thema Nachhaltigkeit zum einen schon in den Schulen ansetzen. Wir haben bereits die Digital Natives. Was wir jetzt brauchen sind Green Natives. Die fehlen uns, national und international. Solche, die von vornherein ein Grundverständnis haben, worum es bei dem Thema geht, warum es wichtig ist und wie man damit umgehen kann. Es muss im Bewusstsein und im Alltag ankommen. Das heißt auch: Die Leute, die in zehn oder zwanzig Jahren die Entscheidungsträger sind, die müssen jetzt schon das richtige Handwerkszeug bekommen. Und das betrifft auch Unternehmen der Baubranche. Da ist Nachhaltigkeit dann künftig nicht mehr etwas „das man noch mitmachen muss“, sondern die Norm. Und realistisch gesehen ist es dann so, dass das, was wir heute in Wettbewerben noch auszeichnen, dann einfach der gute Ton ist, die Baunorm.

Gleichzeitig müssen wir aber auch Projekte, die bereits da sind angehen, und Leute, die jetzt tätig sind, bekehren und auch ein bisschen Überzeugungsarbeit leisten. Alle Ambitionen, sei es von politischer Seite, sei es von der Branche selbst, müssen beschleunigt werden und müssen früher ansetzen. Das ist international gleich. Wobei es den einen internationalen Standard ja leider noch nicht gibt.

Impulse außerhalb des eigenen Tellerrands

LK: Welchen Einfluss haben hier Wettbewerbe wie die Green Solutions Awards?

TK: Grundsätzlich sind solche Preise gut, weil besondere Anstrengungen auch honoriert werden sollten. Bei den Green Solutions Awards ist zudem die Bezeichnung und das Format positiv, weil man damit kommuniziert, dass man Möglichkeiten zeigt. Keine Blueprints, aber Lösungsansätze. Solche Wettbewerbe erlauben einem so, den eigenen Horizont zu öffnen für andere Ansätze, für Ansätze aus anderen Breitengraden. Die Einreichungen bei den Green Solutions Awards zeigen beispielsweise Lösungen, die man sich in unterschiedlichen Regionen vorstellen kann. Hier können Impulse für andere Projekte mitgenommen werden.

Green Solutions Awards 2021: Entdecken Sie die Gewinner

Das Projekt Mehr.WERT-Pavillion ist Sieger in der Kategorie „Sustainable Infrastructure Grand Prize“

Hinter den Green Solutions Awards steht das Experten-Portal Construction 21. Die DGNB ist  Gründungsmitglied und organisierte den nationalen Vorentscheid in Deutschland. Welche Projekte bei den diesjährigen Awards in den Bereichen Gebäude, Quartier und Infrastruktur gewonnen haben, erfahren Sie hier. Auch aus Deutschland sind mit dem Projekt Mehr.WERT.Pavillion ein Gewinner sowie mit dem Eisbärhaus Bauteil C ein als „Mention“ gewürdigtes Projekt dabei.

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