Vor etwa zehn Jahren angestoßen, nimmt der Anteil nachhaltiger Gebäude in der Immobilienwirtschaft bis heute zu. Stark aufholen muss der Bestand. Ein wichtiger Hebel ist die konsequente Verankerung der Nachhaltigkeit im Finanzwesen. Maßnahmen wie der EU Green Deal und die steigende CO2-Bepreisung geben Zuversicht.
BLOGSERIE ZUM NEUEN JAHRZEHNT (TEIL 4)
2020 ist nicht irgendein Jahr. 2020 heißt: Nur noch zehn Jahre bis 2030, das Jahr, an das so viele Nachhaltigkeitsziele geknüpft sind. Vor diesem Hintergrund gibt das DGNB Präsidium eine Einschätzung zur Entwicklung des Gebäudesektors in den letzten zehn Jahren ab und blickt nach vorn. Ein Thema, sechs Perspektiven. Im nächsten Beitrag blickt Anett-Maud Joppien auf die Themen der Nachhaltigkeit bei Hochschulen.
Aktuell habe ich zwei, drei Termine in der Woche um große Asset Manager zu folgender Fragestellung zu beraten: „Wir müssen bis 2030 klimaneutral werden. Schaffen wir das? Und wie?“ Es hat sich einiges getan in der Immobilienbranche. Denn bei solchen Anfragen geht es oft nicht mehr um einzelne Immobilien, sondern oft auch um größere Portfolios.
Wer diesem subjektiven Eindruck eines Nachhaltigkeitsberaters nicht traut, der schaue auf die folgenden Zahlen. Dass wir diese haben, ist übrigens eine wichtige Errungenschaft der letzten zehn Jahre. Sie nennt sich Zertifizierung und weist nach, dass Gebäude nachhaltig sind.
Zahl der Zertifizierungen: 2010 bis heute
Die Entwicklung in einem Satz: Vor zehn Jahren gab es die ersten Zertifikate, in der Mitte der 2010er Jahre hat das Thema Fahrt aufgenommen und ab der zweiten Hälfte des letzten Jahrzehnts kann man von einer zunehmend breiten Etablierung sprechen. Seither fließt ungefähr jeder fünfte Euro des jährlichen Transaktionsvolumens in Deutschland in nachhaltig zertifizierte Immobilien – egal ob Neubau oder Bestand. Bei Bürogebäuden sind es sogar mindestens 30 % des gesamten Investitionsvolumen. So gesehen, waren die 2010er Jahre im Vergleich zum „davor“ Jahre der Nachhaltigkeit. Doch wie kam es überhaupt zu diesem Anstoß in der Immobilienwirtschaft?

Das Investitionsvolumen in nachhaltige Gebäude stieg über die Jahre konstant ©BNP Paribas Real Estate
Vom Einzelaspekt zum Ganzen
Schon lange vor 2010 gab es Gesetze zu Energie, Effizienz und Wassersparen mit dem Fokus auf Gebäudehülle, -technik und -energie. Das waren jedoch Einzelmaßnahmen ohne weitreichende, geschweige denn messbare Wirkung. Der entscheidende Meilenstein wurde gelegt, als alle Ansätze zu einem ganzheitlichen Mosaik zusammengefügt wurden. Mit der Gründung der DGNB diskutierten plötzlich Architekten, Ingenieure, Kaufleute, Professoren und viele andere wild über diese Fülle an Themen. Das Ergebnis: Ein Instrument, das ökologische, soziale mit wirtschaftlichen Interessen vereint und damit eben auch für die Immobilienwirtschaft funktioniert.
Die Lehman Krise: Ein Branche ist aufnahmebereit
Der zweite Treiber war die Lehman Krise. Ausgelöst im Immobilienbereich der Vereinten Nationen in 2007, entwickelte sie sich zur globalen Finanzkrise. In dieser Zeit ließen sich zertifizierte Gebäude besser verkaufen und vermieten. Die Zertifizierung war das entscheidende Add-On, das Qualitätsmerkmal. Auch wenn es in den USA „nur“ LEED gab, wurde hier ein Grundstein für die weitere Entwicklung gelegt. Die krisengeschüttelte Immobilienbranche war aufnahmebereit und offen. Und die Antwort waren nachhaltige und damit zukunftsfähige Immobilien. Dass sich aus dieser Krise eine enorme Chance entwickelt hat, ist doch gerade jetzt eine betonenswerte Botschaft.
Wer investiert hier was und wo?
Wie gelingt es nun auf dieser Basis, die Zahlen weiter in die Höhe zu treiben? Dazu müssen wir uns die letzten zehn Jahre nochmals genauer anschauen. Wo investiert eigentlich wer und warum in nachhaltige Gebäude mit großem Impact?
Büros in Großstädten: Die Hochburg der Zertifikate

Anzahl der Zertifizierungen in den BIG 7 im Jahr 2018 ©BNP Paribas Real Estate
Die Nachfrage nach zertifizierten Gebäuden steigt auch in den Großstädten. Dort, wo die großen Immobilienentwicklungen und -transaktionen laufen: Berlin, Düsseldorf, Frankfurt, Hamburg, München, Stuttgart, Köln gelten als die BIG 7. Eine weitere Erkenntnis: Der Fokus liegt auf Bürogebäuden, die möglichst zentrumsnah liegen. Dass die großen Investoren wie offene Immobilienfonds oder Versicherer hier investieren, liegt letztlich vor allem am Mieter. Denn gerade die für die Investoren interessanten „bonitätsstarken“ Mieter wollen häufig nur noch zertifizierte Flächen. Als Merkmal dafür, dass ihnen ökologische Themen und soziale Verantwortung wichtig sind. Oder um ihren Beitrag zu den globalen Nachhaltigkeitszielen (SDGs) zu demonstrieren. Darüber hinaus setzen auch die Investoren selbst immer stärker Prinzipien für verantwortungsvolles Investieren der UNO um und verabschieden eigene, SDG-konforme Regeln für ein nachhaltiges Investieren.

Vor allem Anleger, für die Wertstabilität und Nachhaltigkeit besonders wichtig sind, investieren in nachhaltige Gebäude ©BNP Paribas Real Estate
Aber auch in kleineren Gemeinden wächst das Interesse an nachhaltigen Gebäuden. Hier ist der Prototyp ein verantwortungsbewusster Mittelständler, der für die eigene Nutzung mit hoher Qualität bauen will.
Leider noch Nachzügler: Bestandsgebäude
Was sich beim Neubau als eine Art Selbstläufer eingestellt hat, fehlt leider beim Bestand. Zwar stieg die Zahl der Bestandszertifizierungen ab Mitte der 2010er Jahre erheblich, allerdings ist die Geschwindigkeit in den letzten Jahren im Verhältnis zum Neubau wieder zurückgegangen. Das Hauptproblem liegt hier im Investor-Nutzer-Dilemma. Kurz gesagt: Die notwendigen Sanierungen rechnen sich häufig wirtschaftlich nicht, weil der Mieter während des laufenden Mietvertrages zwar von der nachhaltigen Sanierung profitiert, sich an den Kosten aber nicht beteiligt!

Trendumkehr: Seit 2015 steigt der relative Anteil von Neubauzertifikaten im Vergleich zum Bestand wieder an. ©BNP Paribas Real Estate
Ausblick: So gelingt Klimaneutralität in der Breite
Vor diesem Hintergrund sind drei wesentliche Aspekte nötig, um die Immobilienwelt weiter in Richtung Nachhaltigkeit zu treiben.
- Das Investor-Nutzer-Dilemma kann und muss gelöst werden!
- Der Sustainable Finance Ansatz der EU und der Green Deal sind vielversprechende Maßnahmen, die Investmentprodukte nachhaltig machen. Bei konsequenter Umsetzung kommt das auch bei den Beständen an.
- CO2-Bepreisung: Wir haben auf einem viel zu niedrigen Niveau angefangen. Wenn diese aber schnell und kontinuierlich steigt, ist sie ebenfalls ein wichtiger Hebel.
In dieser Kombination bin ich zuversichtlich, dass aus dem kleinen Schub, den ich gerade erlebe eine Welle klimagerechter Sanierungen entstehen kann. Die eingangs erwähnte Frage nach dem klimaneutralen Portfolio wird sich dann massiv häufen. Nur zu, wir sind bereit! Und meine Antwort ist klar: Das schaffen wir. Fragen Sie doch mal bei der DGNB nach.

Nicht ohne Grund seit jeher Martkführer in Deutschland: Das DGNB Zertifizierungssystem ©BNP Paribas Real Estate
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