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„Warum ist die Bauwende nicht schon längst in vollem Gange?“

Die seit 2019 bestehende Bewegung „Architects for Future“ wollte beim Demokratiefestival im Berliner Olympiastadion eigentlich eine eigene Petition beitragen. Großes Thema: Endlich die nachhaltige Wende im Bausektor schaffen. Dann fiel die Veranstaltung aus. Was nun? Der Verein reichte die Petition einfach selbst auf der Plattform des Deutschen Bundestages ein. Im Interview erzählen die Architekten, was sie fordern, wie es nun weitergeht und erklären, wie Veränderung in der Baubranche gelingen kann.

1. DGNB: Ihr habt eine Petition für ein klima- und sozialverträgliches Bauen initiiert und in den Bundestag eingebracht. Wie kam es zu dieser Idee?

Architects for Future: Im Sommer 2019 hat sich Architects for Future als Bewegung zusammengefunden, seit 2020 sind wir ein eingetragener Verein. Zuerst lag unser Schwerpunkt im Austausch mit der Fachbranche, im Sammeln und Verbreiten von Lösungsansätzen für nachhaltiges Bauen und im Anregen der öffentlichen Diskussion. In der Praxis und im fachlichen Austausch fällt uns jedoch immer wieder auf, dass dieses Potenzial wegen rechtlicher Hürden oft nicht genutzt wird.

Petitionen über die Bundestagsplattform sind ein mögliches Mittel, um das gesellschaftliche Interesse an einem Thema zu verdeutlichen und konkret an die entscheidenden Stellen in der Bundespolitik heranzutreten. Eigentlich war unsere Petition als einer der Beiträge des Demokratiefestivals 12.06.2020 Olympia gedacht, das jedoch wegen der Corona-Maßnahmen ausfallen musste. Wir haben unsere Petition dann stattdessen weiter ausgearbeitet und Ende des Jahres eingereicht.

2. Was genau fordert ihr und was versprecht Ihr Euch von der Petition im besten Fall?

Die Petition fordert ein ganzheitliches Maßnahmenpaket für eine nachhaltige Bauwende. In den sieben Forderungen haben wir einige der am drängendsten und effektivsten Maßnahmen zusammengefasst und zwar in den Bereichen Baustoffe, Kreislaufwirtschaft, Graue Energie, Umbau und Sanierung, Klimaresilienz, Biodiversität, Bildung und sozial gerechte Stadtplanung. Dank der fast 60.000 Mitzeichnungen konnten wir die Petition am 1. März im Petitionsausschuss diskutieren. Wir haben unsere Forderungen erläutert und erstaunlich viel Zuspruch erhalten. Sehr erfreulich, aber fast schon erstaunlich, denn da stellt sich natürlich die Frage, warum bei so viel Zustimmung die Bauwende nicht schon längst im vollen Gange ist.

3. Viele der Forderungen zielen auf Gesetzesänderungen. Diese sind oft langwierig und nicht immer einfach zu realisieren. An welcher Stelle ist eine veränderte Gesetzeslage am dringendsten?

Gesetze wie das GEG oder auch die Mantelverordnung zur Kreislaufwirtschaft sind gerade verabschiedet worden. Hier werden wichtige Stellschrauben unterschlagen und nachhaltige Änderungen sind verpasst worden. Gerade im GEG muss dringend nachgebessert werden: Die graue Energie und die grauen Emissionen dürfen nicht länger bei der Gebäudebewertung unterschlagen werden.

Zudem müssen Bau- und Abrisskosten die Umweltfolgekosten miteinschließen. Der nachhaltige Markt muss kostengünstiger und der umweltschädliche Markt teurer werden. Dies kann z.B. durch die Mehrwertsteuer oder einen angemessenen CO2-Preis gesetzlich gesteuert werden. Verpflichtende Datentransparenz und zusätzliche Förderungen spielen dabei auch eine große Rolle.

Auch das Lieferkettengesetz darf die Baubranche nicht außer Acht lassen. Die Bauwirtschaft macht 5,6 % der deutschen Wirtschaft aus. Letztendlich müssen wir JETZT handeln und die Politik muss schnellere, flexiblere Instrumente entwickeln, die langwierige Prozesse und bürokratische Hürden abbauen.

4. Der Petitionsausschuss hat die Petition angenommen. Wie geht es jetzt weiter?

Als nächstes wird unser Anliegen an den Bauausschuss des Bundestages zur fachlichen Beratung weitergegeben und wir erhalten eine Stellungnahme dazu. Ausgehend von den Rückfragen in der öffentlichen Anhörung und dieser Stellungnahme, wollen wir bei den entsprechenden Fraktionen nachhaken und weiter ins Gespräch kommen. Am 3. März fand bereits eine Experten:innen-Anhörung zum Thema „Nachhaltige Bauwende“ im Bauausschuss des Bundestages statt. Wir haben den Eindruck, dass das Thema durchaus präsent ist; nun ist es wichtig, dass sich auch etwas bewegt. Im besten Fall finden die Forderungen Platz in den Wahlprogrammen und Koalitionsverträgen.

5. Abseits der Petition: Welche Projekte liegen Euch derzeit am Herzen?

Derzeit arbeiten wir gemeinsam mit GermanZero an der Umgestaltung des Klimaschutzgesetzes. Da Bau und Betrieb von Gebäuden weltweit den größten Brancheneinfluss auf den Klimawandel haben, ist das besonders relevant. Auch bei den Bundestagswahlen wollen wir die Bauwende natürlich stärker in den Fokus rücken. Dabei beschäftigen wir uns u.a. verstärkt mit dem Thema Bauen im Bestand. Nach unserer Umfrage zu den Hemmnissen arbeiten wir nun an Vorschlägen für eine Umbauordnung, die Nutzungsänderung und Bauen im Bestand vereinfachen soll.

In unserem stetig wachsenden Netzwerk sind mittlerweile viele diverse lokale und überregionale Projekte entstanden. Neben politischen Bestrebungen und fortbildenden Projekten wie unseren „Websinaren“ gibt es u.a. auch Beteiligungen an wirtschaftlichen Entwicklungen. So beraten wir z.B. eine nachhaltige Bank bei einem Projekt zur Immobilienbewertung.

Video Call: einige der Mitglieder der Architects for Future bei der Besprechung. © Architects for Future

6. Wie würdet Ihr Eure Rolle beschreiben in einer Branche, die so viele unterschiedliche Akteure und Einflussgeber kennt wie die Baubranche?

Im Gegensatz zu den meisten Akteuren sind wir unabhängig von wirtschaftlichen und politischen Interessen und können daher frei und radikal Kritik äußern sowie agil handeln. Natürlich bemühen wir uns um konstruktive Kritik mit praxisbezogenen Lösungsvorschlägen oder geben Hinweise auf existierende Ansätze.

Unsere große Stärke ist dabei auch Schwarmwissen und Schwarmintelligenz. Wir sind viele und werden immer mehr. Außerdem ist die Kommunikation der Baubranche bisher stark nach innen gerichtet und die Gesellschaft wird häufig nicht mitgenommen. Das wollen wir ändern. Wir wollen ein Bewusstsein für die Potenziale einer nachhaltigen Bauwende auch in der Bevölkerung schaffen und die gesellschaftliche Relevanz verdeutlichen.

7. Welche Art der Zusammenarbeit würdet ihr euch von Organisationen wie der DGNB oder den Architektenkammern wünschen?

Eine Zusammenarbeit mit offener Kommunikation und gegenseitiger Unterstützung je nach Stärken und Schwächen. Mit dem gemeinsamen Hinterfragen aktueller Standards und dem Zulassen von konstruktiver Kritik in Form eines Miteinanders, nicht gegeneinander. Gemeinsam können wir eine Veränderung der Narrative voranbringen und ein neues Verständnis – von nachhaltigem Bauen, unseren Berufsbildern und wie wir in Zukunft wohnen wollen – etablieren, sowohl im fachlichen und öffentlichen Diskurs als auch durch gemeinsame Forderungen an die Politik und Wirtschaft. Die DGNB und die Architektenkammern sind außerdem wichtige Akteure im Bereich der Bildung. Dieses Feld birgt noch großes Potenzial und wir würden auch hier eine Zusammenarbeit begrüßen.

Kategorie: Interview

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Witold Buenger arbeitet bei der DGNB im Marketing und ist Projektleiter Produktkommunikation. Themen und Leistungen ansprechend und zielgruppengerecht aufzubereiten, auch Sonderthemen unterhaltsam und verständlich darzustellen, ist dabei ein Schlüssel zum erfolgreichen Arbeiten. Er studierte Medien- und Musikwissenschaft und arbeitete nach seinem Verlagsvolontariat in verschiedenen Unternehmen und Redaktionen.

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