Die Armut beenden, das Klima schützen, Gleichberechtigung, leaving no one behind. Der Inhalt der 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) der Vereinten Nationen klingt genau richtig, aber wie kommt man da hin? Darüber haben sich schon viele den Kopf zerbrochen, so auch Marc Buckley. Er wurde von den UN zum Fürsprecher der SDGs ernannt. Über seine Rolle und wie die SDGs wirklich zu lesen sind spricht er in diesem ersten Teil unseres Interviews.
Pia Hettinger (PH): Marc, du bist ein SDG-Botschafter. Wie kommt man zu diesem Titel?
Ich setze mich schon lange für Nachhaltigkeit und Klimaschutz ein. Ich verfolgte bereits die Millennium Development Goals und war unter Leitung von Professor Jeffrey Sachs mit dabei. Es folgten die verschiedenen Klimakonferenzen. Bedeutend war natürlich die COP21 in Paris und die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung. 2016 habe bei der UN in Bonn eine Präsentation über die SDGs gehalten. Kurz vor Ende meiner Rede kam Ban Ki Moon auf die Bühne und machte einen Pinn an meine Jacke – ab da war ich offiziell dabei. Ban Ki Moon ist ein ganz lieber Mensch und Weltbürger. Er macht viel Gutes für die Menschheit und das auch nachdem er das Amt in 2017 als Generalsekretär der Vereinten Nationen an António Guterres abgegeben hat.

Marc Buckley und Ban Ki Moon 2019 beim NAP Expo Resilience Frontiers Moonshot Workshop in Songdo, Korea. Credit: Creative Commons Marc Buckley
PH: Was muss man denn mitbringen um SDG-Botschafter zu werden?
Ich denke jemand, der über Nachhaltigkeit spricht, muss in drei Bereichen stark sein.
- Er muss Wirtschaftssysteme in der Tiefe verstehen. Wichtig ist, dass er nicht nur die vorherrschenden Modelle kennt, sondern eben auch die möglichen Alternativen. Als Beispiel möchte ich Hermann Daly oder Tim Jackson nennen, zwei Ökonomen, die sich mit der Frage beschäftigt haben, wie eine Wirtschaft ohne Wachstum aussieht, die zugleich ökologisch ist. Ich würde sagen, die ökologische Ökonomie ist die beste.
- Er muss sich mit nachhaltigen Innovationen auskennen. Damit meine ich nicht nur die Entwicklung einer Ernährungs-App, sondern Innovationen mit dem Zweck wirkliche Probleme zu lösen – wie beispielsweise ein Mittel gegen Malaria. Die DGNB bietet mit ihrem Zertifizierungssystem zurzeit den besten Standard an, den es weltweit für das Bauen gibt. Das sind Tools, die Probleme lösen. Diese müssen wir jetzt nutzen. Denn alles entwickelt sich so schnell, und wir sind langsam wie eine Schnecke, weil wir nur debattieren.
- Er muss ein Futurist sein! Ich muss mir gut vorstellen können, wie die Zukunft aussehen kann. Dann gilt es für diese Zukunft eine Roadmap zu erstellen. Die Wissenschaftler haben sich beispielsweise das 2-Grad-Ziel gesetzt und dann mit Tausenden Szenarien durchgespielt, was gemacht werden muss, um dieses Ziel zu erreichen. In letzte Minute haben sie sich dann auf der COP21 in Paris auf das 1,5-Grad-Ziel geeinigt.
Mein Ziel ist, dass die Leute verstehen, wie eine Welt 2030 aussehen kann, wenn alle 17 Ziele erreicht werden. Sie sollen verstehen, wie sich das anfühlt. Dafür habe ich das UN SDG Manifesto geschrieben.
PH: Kommen wir zu den SDGs: für wen gelten sie?
Sie sind für jeden Menschen individuell gedacht. Sie beschreiben die Basisbedürfnisse der Menschheit. Man kann sie aber auch in Organisationen oder auf Länderebene anwenden. Wir müssen verstehen, dass wir in einer Symbiose mit unserem Planeten leben.
„Man muss begreifen, dass die Einhaltung zum Guten führt.“
PH: Das heißt, sie sind rein intrinsisch motiviert. Oder gibt es auch Verpflichtungen?
Die SDGs sind keine Verpflichtung. Es ist eine freiwillige Sache, ob ein Land den Plan bis 2030 umsetzt. Das finde ich eher schade. Die Haltung „ich mache es nur, wenn alle es machen oder wenn wir dazu verpflichtet werden“ ist eine Falle. Als Trump aus dem Pariser Klimaabkommen rausging, haben einige Bundesstaaten sich trotzdem für die SDGs und das Klimaabkommen eingesetzt. Man muss begreifen, dass die Einhaltung zum Guten führt.
All die Organisationen, Städte und Länder, die das schon verinnerlicht haben und dabei sind die Ziele umzusetzen, haben die Pandemie und die ökonomischen Folgen besser überlebt. Ich will, dass die Menschen sagen „Wow, diesen Weg zu leben oder meine Firma zu leiten, hätte ich schon viel früher einschlagen sollen. Sie ist das bessere Modell für die Zukunft.“
PH: Die SDGs lassen sich auf den ersten Blick leicht lesen und verstehen. Kein Mensch würde bestreiten, dass es wichtig ist die Armut zu beenden. Aber steckt da nicht noch mehr drin?
Ich denke das größte Missverständnis ist, dass die Leute die Ziele als Add-On für ihr Business-as-usual verstehen. Sie picken sich die vier Ziele raus, die am einfachsten in ihr Geschäftsmodell zu integrieren sind. Wenn du so vorgehst, verletzt du im selben Moment die anderen SDGs. Sie gehören alle zusammen. Genauso sind auch im Bausektor alle Ziele angesprochen. Zu einem guten Gebäude gehört sauberes Wasser, saubere Luft, ein Garten, Infrastruktur, öffentliche Mobilität, Ernährung, Innovationen im Umkreis – all das hat einen Effekt für alle 17 Ziele.
„Wir müssen uns von der linearen Sicht auf die Welt verabschieden“
Unsere Welt funktioniert in komplexen, dynamischen Systemen. Wir müssen uns von der linearen Sicht auf die Welt verabschieden und brauchen einen Systemansatz oder einen dynamischen Ansatz. Nehmen Sie diese Analogie: Unser Körper besteht aus elf komplexen Systemen, die alle in völliger Harmonie zusammenarbeiten. Keines dieser Systeme steuert alleinig den ganzen Körper, aber wenn eines ausfällt und man krank wird, kompensieren das die anderen Systeme – das ist ein komplexes Ökosystem.
PH: Es gibt auch das sogenannte Wedding Cake Modell – eine hierarchische Lesart der SDGs…
Kurz vor der offiziellen Veröffentlichung der SDGS hat Professor Rockstrom mit Partnern dieses Modell vorgestellt. Ban Ki Moon fand das gut, allerdings war es zu spät, diese noch in die Veröffentlichung reinzubringen. Das Kuchenmodell sagt aus, dass die Biosphäre die Basis bildet, da kommen alle Ressourcen her, die wir zum Leben benötigen. Wenn diese nicht erhalten wird, können die Basisbedürfnisse der nächsten, der sozialen Ebene, nicht gestillt werden. Diese wiederum ist die Basis für eine funktionierende Wirtschaft.

Die SDGs in der Darstellung der „Wedding Cake“. Credit: Azote for Stockholm Resilience Centre, Stockholm University (CC BY 4.0)
PH: Was sind die Grenzen der Ziele?
Ich erlebe es häufig, dass viele Menschen erstmal widerlegen wollen, was die SDGs können. Da kann ich nur sagen: Wir sind mitten in der Klimakrise, wir haben jetzt 2022 und noch 8 Jahre um die Ziele zu erreichen. Wir müssen alle Energie in die Umsetzung stecken. Wir müssen jetzt anfangen!
Im zweiten Teil des Interviews sprechen wir über den SDG Status Quo, Green Washing, die Rolle des Bausektors und wo die Reise hingeht.
Marc Buckley hat globale Umwelt- und Nachhaltigkeitsstudien, Betriebswirtschaft, Informatik, Recht, Wirtschaft und Agronomie studiert. Er berät die Vereinten Nationen und ist einer der ersten Klimaaktivisten, die von Al Gore ausgebildet wurden. Er ist Teil des Expertennetzwerks des Weltwirtschaftsforums für die Themen Innovation, Klimawandel, Landwirtschaft und Ernährung. Und er berät Unternehmen hinsichtlich der Implementierung von Nachhaltigkeit in ihre Prozesse und hält Reden weltweit. Zudem hat er selbst ein Lebensmittelunternehmen gegründet. Vor allem aber ist er SDG-Botschafter, und das hat uns besonders interessiert. Geboren ist er in den USA, aufgewachsen zum Teil auch in Deutschland. Heute lebt er in Hamburg und ist in Projekte weltweit involviert.
Titelbild Credits: Creative Commons, photographer Karsten Eichhorn