In diesem Frühjahr haben 160 zufällig ausgeloste Menschen aus ganz Deutschland ein Bürgergutachten erarbeitet. Darin geben sie Empfehlungen für die deutsche Klimapolitik. Die Ergebnisse könnten einer künftigen Bundesregierung einen enormen Rückhalt für eine außerordentliche ambitionierte Vorgehensweise in Sachen Klimaschutz geben. Wenn denn das Prinzip der Bürgerräte auch ernst genommen würde.
Hört man den SpitzenkandidatInnen in ihren Wahlkampfauftritten für die Bundestagswahl am kommenden Sonntag zu, so dürfte es eigentlich kein Fragezeichen bei der Wichtigkeit des Themas Klimaschutz geben. Dass vieles Parole ist und dem Detailcheck nicht standhält, wurde jetzt von verschiedensten Seiten wie dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung aufgelöst. Das 1,5-Grad-Ziel ist jedenfalls nur unzureichend der Maßstab für die unterschiedlichen Parteiprogramme.
Dass dies nicht im Sinne der BürgerInnen in Deutschland ist, verdeutlicht das Bürgergutachten, das von den TeilnehmerInnen des Bürgerrats Klima erarbeitet wurde. Mit 141 zu 11 Stimmen votierten diese dafür, dass das 1,5-Grad-Ziel oberste Priorität haben sollte. Beeindruckende 76 der 77 Empfehlungen wurden von den BürgerrätInnen angenommen. Bei 64 Prozent der Empfehlungen betrug die Zustimmung mehr als 90 Prozent. Wie viel mehr Zustimmung braucht eine künftige Bundesregierung von einer vielfältigen, stellvertretend zusammengesetzten Gruppe von Menschen mitten aus der Gesellschaft denn noch?
Positive Ergebnisse – gebremste Euphorie
Trotzdem wird eine teilnehmende Person in dem Bürgergutachten wie folgt zitiert: „Habe große Sorge, dass unsere Bemühungen in der Luft verpuffen … und dass nur ein Tropfen in der Regierung angekommen ist von dem, was wir erarbeitet haben.“ Ist diese Skepsis begründet? Vielleicht ja. Nur woran mag das liegen?

DGNB Vorstand Dr. Christine Lemaitre mit dem Gutachten des Bürgerrats Klima
Wir als DGNB sind Teil des Unterstützerkreises des Bürgerrats Klima. Weil wir es wichtig finden, dass solche Formate ausprobiert werden. Dass der erschreckenden Form der Einflussnahme von Lobbyisten in Deutschland ein Gegengewicht entgegengestellt wird. Weil wir hoffen, dass es mutige PolitikerInnen gibt, die sich tatsächlich als VolksvertreterInnen verstehen und die Einschätzungen von WissenschaftlerInnen, FachexpertInnen und BürgerInnen gleichermaßen ernst nehmen.
Das soll nicht heißen, dass wir per se alles gut finden und Bürgerräte als Allheilmittel verstehen. Und so sind uns beim Lesen des Bürgergutachtens eine Reihe von Dingen aufgefallen, die zeigen, wo das Prinzip in der jetzt durchgeführten Form noch Grenzen hat, auf die bei künftigen Bürgerräten geachtet werden sollte.
- Die überwältigende Mehrheit der Befürwörter ist zwar einerseits beeindruckend, birgt jedoch auch ein „Aber“ in sich. Es lässt einen – ob man will oder nicht – ein Stück weit skeptisch zurück, wenn man sich nicht intensiver mit dem Prozess hinter den Bürgerräten beschäftigt. Kann es eine so eindeutige Mehrheit geben? Wurden die BürgerrätInnen nicht 12 Wochen lang „Pro Klimaschutz“ gepolt? Gab es auch ExpertInnen mit kritischen Gegenhaltungen, um eine unvoreingenommene Meinungsbildung zu ermöglichen? Transparenz und Ausgewogenheit sind hier zentral.
- Die Ergebnisse werden dann dünner, wenn die BürgerInnen eine direkte persönliche Einschränkung zu erwarten haben. Die City-Maut wurde als einzige Empfehlung mehrheitlich abgelehnt. Das Tempolimit auf Autobahnen erhielt die zweitwenigsten Befürworter. Die Mutmaßung: Je abstrakter Klimaschutzmaßnahmen bleiben bzw. je weniger sie mich in meinem tagtäglichen Leben betreffen, desto leichter fällt die Unterstützung. Schwächt das die übrigen Empfehlungen ab? Irgendwie schon, weil nicht klar ist, ob sich die Stimmung dreht, sobald wir die Einschränkungen im Persönlichen spüren.
- Manche Empfehlungen enthalten viele Einzelaspekte, über die dann aber nur übergeordnet mit Ja oder Nein abgestimmt werden kann. Hier fehlt an manchen Stellen eine Differenzierung. Entsprechend bleiben Fragezeichen, wie das Ergebnis tatsächlich zu bewerten ist. Stimmten die Teilnehmenden vielleicht auch zu, selbst wenn ich nur einige der Einzelpunkte befürworteten?
- Die konkrete Ausgestaltung einzelner Empfehlungen legt zudem nahe, dass hier ausgewählte ExpertInnen viel Raum erhalten haben für ihre konkreten Ideen. Ein Beispiel ist die vorgeschlagene Sanierungsampel. Hier wird gleich eine Methodik eingeführt, die nur eine von vielen Optionen ist, um das dahinterstehende Ziel zu erreichen. Hier sollte von einem begleitenden Gremium kritischer draufgeschaut werden.
Die Grenzen der politischen Meinungsbildung
Diese Beobachtungen sollen aber die Ergebnisse in keinster Weise schmälern. Stattdessen zeigen sie eine noch viel größere Herausforderung in unserer heutigen Zeit auf: Mangelnde Information oder sogar Desinformation. Fakten und Zusammenhänge sowie die Kenntnis von Möglichkeiten und Notwendigkeiten sind das A und O, wenn es um eine fundierte politische Meinungsbildung geht. Denn die Ergebnisse des Bürgerrats Klima zeigen deutlich, wenn diese vorliegen und verstanden werden, kommen offensichtlich die allermeisten – zumindest beim Thema Klimaschutz – auf dieselben Erkenntnisse. Wenn man ihnen die Zeit gibt, diese zu verstehen.
In der Realität werden wir gnadenlos konfrontiert mit Meinungen und flüchtigen Social-Media-News, deren Wahrheitsgehalt nur die wenigsten überprüfen können. Die BILD-Zeitung titelt zehn Tage vor der Bundestagswahl mit der Schlagzeile „Klima-Schutz kostet Hunderttausende Jobs“. Ob diese auch über das Bürgergutachten berichtet hat? Wenn überhaupt wohl eher als Randnotiz.
Genau deshalb könnten Bürgerräte zu einem wichtigen Werkzeug unserer Demokratie werden. Wenn ihre Stimmen und Empfehlungen als repräsentativ anerkannt würden. Denn hier bekommen die Teilnehmenden genau das, was der Mehrheit im Alltag oft fehlt: Den Zugang zu Expertenwissen sowie die Zeit sich damit auseinanderzusetzen und fundiert eine Meinung bilden zu können. Dass dies beim Klimaschutz zu einer gewaltigen Mehrheit führt, hat das Bürgergutachten gezeigt.
💚❤️❤️, damit würden sich die Anliegen der Bürger*innen wohl am ehesten durchsetzen lassen. Klima Politik aber sozial, das ist die große Herausforderung. Bsp. Regenerative Energien, dezentral ist kaum im Interesse der Energielobby, dafür um so besser für Kommunen, Genossenschaften, Privatpersonen und spart lange Transportwege… so gibt es viele Beispiele.