Klimaschutz
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Klimaneutrale Gebäude: Der wirtschaftlichste Weg zur Null

Frankfurt Skyline

Im Gebäudesektor sind Investitionen in Milliardenhöhe notwendig, um das Ziel der Klimaneutralität zu erreichen. Das betrifft insbesondere die Eigentümer großer Gebäudebestände. Energetische Modernisierung und Sanierung sind der Schlüssel, Wirtschaftlichkeit und Sozialverträglichkeit der Maßnahmen die Herausforderung. Im Gespräch diskutieren Dietmar Geiselmann, Leiter DGNB Zertifizierung Bestand, und Dr. Martin Handschuh, Gründer und geschäftsführender Gesellschafter der eco2nomy GmbH, über Klimaschutz, der sich rechnet, und über die Wichtigkeit von Daten und Digitalisierung, um dies zu erreichen.

Dietmar Geiselmann (DG): Bei der DGNB beschäftigen wir uns intensiv mit Klimaschutzfahrplänen für Gebäude. Besonders interessant wird es bei großen Portfolios mit vielen Bestandsgebäuden, denn da geht es in aller Regel um die Vermeidung substantieller CO2-Emissionen. Vor welchen Fragen stehen Entscheider in Bezug auf die Dekarbonisierung ihrer Portfolios?

Dr. Martin Handschuh (MH): Im Wohnungsbereich ist die zentrale Frage: Wie können wir die Dekarbonisierung der Gebäudebestandes so realisieren, dass Ökologie, Wirtschaftlichkeit und Sozialverträglichkeit bestmöglich vereint werden. Denn nur so – mit einem Optimum in diesen drei Nachhaltigkeitsdimensionen – kann der Weg hin zur Klimaneutralität gelingen. Alle relevanten Fragen gliedern sich hier unter: Wie können wir als Immobilieneigentümer CO2-Emissionen reduzieren? Wo und wie sind wir abhängig von Aktivitäten Dritter, z.B. klimaneutrale Fernwärme und klimafreundliches Mieterverhalten? Welche Ergebnisse können wir bis wann erreichen? 2025, 2030, 2040? Wie können wir die Maßnahmen finanzieren? Welche Förderungen können wir nutzen? Und was sind die Implikationen für uns als Eigentümer sowie für unsere Mieter?

DG: Das ist eine komplexe Gemengelage. Welche Lösungsansätze sind aus ihrer Sicht in Bezug auf die zahlreichen Fragen vielversprechend?

DGNB Rahmenwerk für klimaneutrale Gebäude und Standorte

Hier geht’s zum Rahmenwerk

MH: Am Anfang geht es ganz klar um Transparenz und eine strukturierte Analyse des Gebäudeportfolios. Wichtig ist zum einen die Erfassung der CO2-Emissionen unter Nutzung relevanter Standards, wie z.B. das „Rahmenwerk für Klimaneutrale Gebäude und Standorte“ der DGNB.  Aber auch das Identifizieren von Potentialen sowie von Handlungsbedarfen hat große Bedeutung. Auf dieser Grundlage kann man über Szenario-Simulationen …

DG: … also die Modellierung und die Quantifizierung verschiedener Optimierungsstrategien …

MH: … zu einer Gesamtstrategie gelangen, die Ökologie, Wirtschaftlichkeit und Sozialverträglichkeit bestmöglich vereint. Wichtig dabei ist, dass man während des Prozesses stets eine lösungsoffene Herangehensweise wählt und das gesamte Spektrum an Maßnahmen nutzt. Dazu gehören zum Beispiel digitale Lösungen, Gebäudeautomatisierung, Einsatz erneuerbarer Energien sowie Sektorenkopplung im Gebäude und im Quartier. Es gibt dafür eine Vielzahl von Förderungen auf Bundes-, Landes- sowie zum Teil auch auf Stadt- und Kommunen-Ebene. Deren Nutzung ist oft maßgeblich entscheidend für die Wirtschaftlichkeit der energetischen Modernisierungsmaßnahmen.

DG: Interessant ist hier die Frage, in welcher Reihenfolge einzelne Maßnahmen realisiert werden.

MH: In der Tat! Kurzfristig bieten sich in aller Regel vielfältige Maßnahmen mit attraktivem Kosten- und Nutzenverhältnis an. Ich denke hier beispielsweise an Energiemonitoring und -management, Betriebsoptimierungen, der Tausch alter Ölheizungen und der Ausbau von Photovoltaik. Hinzu kommen die Sanierung besonders ineffizienter Gebäude sowie nachhaltige Quartierslösungen. Damit können oftmals große Schritte im Gesamtportfolio hin zur Klimaneutralität geschafft werden. Und im Anschluss steht die kontinuierliche Portfoliomodernisierung mit Teil- und Vollsanierungen unter Kopplung von energie- und nicht-energiebezogenen Maßnahmen an. Flankiert werden diese durch „systemische Effekte“, beispielsweise durch Ökostrom sowie durch im Zeitverlauf auf Basis der Aktivitäten von Energieversorgungsunternehmen nachhaltiger werdende Fernwärmeversorgung.

DG: Da stimme ich Ihnen zu. Durch technische Maßnahmen lässt sich viel bewegen und bewerkstelligen. Eines kommt jedoch hinzu. Und das ist der Faktor Mensch. Was empfehlen Sie in Bezug auf den Umgang mit Mietern und die Kommunikation?

MH: Das ist ein äußerst wichtiges Thema, das Sie ansprechen. Die Förderung von klimafreundlichem Mieterverhalten ist neben all den Technik-orientierten Maßnahmen unbedingt mit zu adressieren. Information, Interaktion und Schaffung eines Gefühls des Miteinanders beim Energiesparen und beim Klimaschutz sind notwendig, damit die großen anstehenden Investitionen für den Klimaschutz ihr volles Potential entfalten.

DG: Lassen Sie uns nochmal konkret werden in Bezug auf das, was die Wohnungswirtschaft aktuell umtreibt: die Findung des wirtschaftlichsten Wegs zur Klimaneutralität. Es geht darum, gebäudeindividuell die Maßnahmen zu identifizieren, die die größte CO2-Minderung pro eingesetztem Euro Investment mit sich bringen und in Summe zum klimaneutralen Gebäudebetrieb führen. Bei der DGNB sprechen wir von einem „Klimaschutzfahrplan“. Wie ist hier ihre Erfahrung?

Klimaschutzfahrplan DGNB

Der Klimaschutzfahrplan der DGNB führt Gebäude systematisch in die Klimaneutralität

MH: Wir haben einen integrierten Ansatz und dedizierte Software-Instrumente speziell für die Dekarbonisierung großer Immobilienportfolios entwickelt. Im ersten Schritt schaffen wir dabei gemeinsam mit unseren Kunden Transparenz über das Portfolio und die einzelnen Gebäude. Nachfolgend bestimmen wir simulationsbasiert je Gebäude aus über 160.000 Varianten den „wirkungsoptimalen Maßnahmenmix“ mit bestem Kosten- und Nutzenverhältnis und konfigurieren mittels multidimensionaler Optimierung daraus die bestgeeignete Gesamtstrategie auf Portfolioebene. Ein Maßnahmen- und Zeitplan, die Finanzierung, Förderungen und Weiteres sind hier inkludiert. So schaffen wir es, in belastbarer Weise Ökologie, Wirtschaftlichkeit und Sozialverträglichkeit zu verknüpfen und eine solide Basis für die Umsetzung zu schaffen.

Strategie eco2nomy

Eco2nomy erarbeitet die bestgeeignetste Strategie für die Dekarbonisierung von Gebäudeportfolios in einem integrierten top-down und bottom-up Ansatz mit Optimierungen auf Gebäude- und Portfolioebene.

DG: Sehr spannend, mit einem so strukturierten Vorgehen die bestgeeignete Strategie zu erarbeiten. Aus ihrer Projekterfahrung: Ist der Aufwand für die Datenerhebung und -analyse dabei gerechtfertigt?

MH: Ja, absolut. Bei jedem unserer Projekte bestätigt es sich: Daten- und analysebasiert können bessere Entscheidungen getroffen werden für Klimaschutz, der sich rechnet – und für den wirtschaftlichsten Weg zur Null.

DG: Herr Dr. Handschuh, das ist ein schönes Schlusswort und ich danke Ihnen für das Gespräch!


 

Dietmar Geiselmann Dietmar Geisselmann Bereits seit 2009 ist Dietmar Geiselmann DGNB Auditor und hat die Entwicklungen im DGNB System während seiner Tätigkeit im Ingenieurbüro Transsolar von Beginn an begleitet. Seit 2018 ist er im Team der DGNB und war maßgeblich an der Entwicklung des DGNB Rahmenwerks für klimaneutrale Gebäude und Standorte sowie das DGNB System für Gebäude im Betrieb beteiligt. Seit 2020 engagiert er sich intensiv für die praxisnahe Anwendung dieser Transformations- und Managementinstrumente zur Entwicklung von nachhaltigen, zukunftsfähigen und auf Klimaschutz ausgelegten Strategien in der Immobilienbranche.

Dr. Martin HandschuhDr. Martin Handschuh ist Gründer und geschäftsführender Gesellschafter der eco2nomy GmbH. Er arbeitet mit Eigentümern von Immobilienportfolios daran, diese wirkungsvoll, wirtschaftlich und sozialverträglich zur Klimaneutralität zu führen. Dabei kombiniert eco2nomy strategische, funktions- und gewerkeübergreifende Beratung mit einzigartigen, eigens für die energetische Modernisierung von Immobilienportfolios entwickelten Instrumenten und unterstützt Kunden  wenn gewünscht im Sinne einer „verlängerten Werkbank“.

Kategorie: Klimaschutz

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Pia Hettinger arbeitet bei der DGNB als Projektleiterin PR und Medien in der Abteilung PR, Kommunikation und Marketing. Relevante Themen und Perspektiven aufspüren und die Quintessenz leserfreundlich in Form bringen, steht im Fokus ihrer Tätigkeit. Nach Stationen in Agenturen und Konzernen fand die studierte Medienwissenschaftlerin den Zugang zur Bauwelt in einem Architekturbüro, wo sie die Unternehmenskommunikation betreute. Ihr zunehmendes Interesse für die Prinzipien der Nachhaltigkeit führte sie zur DGNB.

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