Es bleibt nicht mehr viel Zeit, um die Klimaziele zu erreichen. Gerade der Gebäudesektor muss hier deutlich an Geschwindigkeit zulegen. Zusammen mit Dr. Anna Braune (DGNB), Jürgen Reimann (EDGE Technologies) und Jan Zak (ikl Ingenieurbüro Prof. Dr.-Ing. Kunibert Lennerts) ruft Dr. Christine Lemaitre (DGNB) daher beim DGNB Jahreskongress 2023 erneut zum Klimaschutz-Reset auf. Denn auch bei laufenden Projekten und im Bestand gibt es wirksame Möglichkeiten zu handeln – wenn der Wille da ist.
BLOGSERIE ZUM DGNB JAHRESKONGRESS 2023 (TEIL 5)
Am 14. und 15. Februar fand der zweite digitale Jahreskongress der DGNB statt. In Impulsen und Gesprächsrunden wurden hier Entwicklungen zu vielfältigen Aspekten des nachhaltigen Bauens besprochen. Die Blogserie gibt einen Rückblick und fasst zentrale Botschaften zusammen. Im nächsten Beitrag steht die Frage, wie das Thema Sustainable Finance die Bau- und Immobilienbranche beeinflusst im Fokus.
In ihrer Einführung zum Themenraum „Klimaschutz-Reset: Welche Möglichkeiten es bei laufenden Projekten gibt“ nennt DGNB Vorstand Dr. Christine Lemaitre die eigentlich unerwünschte, aus Gründen von Budgetkürzungen und sonstiger Probleme aber durchaus praktizierte baubegleitende Planung als Möglichkeit, die Ambitionen hinsichtlich Nachhaltigkeit und Klimaschutz im laufenden Projekt zu steigern.
Denn Bauen ist bekanntlich ein langer Prozess. Vom Planungsbeginn bis zur Fertigstellung eines Gebäudes vergehen viele Jahre, in denen sich Vorgaben wie auch Möglichkeiten ändern. Während bei just geplanten Projekten Nachhaltigkeitsthemen nicht zuletzt aufgrund neuer Gesetze und Fördermaßnahmen in der Regel berücksichtigt werden, werden die Potentiale, im laufenden Projekt nachzujustieren, meist verpasst. Daher lautet der Apell, gerade bei Großprojekten regelmäßig den Klimaschutz-Reset zu wagen, innezuhalten, sinnvolle Maßnahmen zu ergreifen und endlich die Trendwende einzuleiten.
Klima+ Paket als Sofortmaßnahme
Ein solcher Reset wird seit August 2022 auch im Rahmen der DGNB Zertifizierung belohnt. Zusammen mit ihrem Fachausschuss als Entscheidungs- und Qualitätssicherungsorgan hat die DGNB das sogenannte Klima+ Paket verabschiedet: eine Erweiterung für alle aktuellen Zertifizierungssysteme, um bei laufenden Projekten Anreize zu schaffen, Maßnahmen von besonderer Relevanz in puncto Klimaschutz nochmals zu intensivieren. Vergeben werden Bonuspunkte für Maßnahmen, die einen positiven Beitrag zum Klimaschutz leisten wie beispielsweise der klimaneutrale Betrieb, eine klimaschonende Bauweise und ein ambitionierter Klimaschutzfahrplan.
Dr. Anna Braune benennt diese Schwerpunktverschiebung im DGNB System als direkte Reaktion auf zwei schwerwiegende, die gesamte Welt betreffende Ereignisse im Jahr 2022: Mit dem Einmarsch russischer Truppen in der Ukraine wurde endgültig klar, dass wir in Deutschland über 40 Jahre lang auf die falsche Energieversorgung gesetzt haben. Dazu der IPCC Bericht von Februar 2022, der einmal mehr verdeutlicht, dass uns die Zeit davon läuft. Die kommenden zehn Jahre seien nun entscheidend.
- Unter Klimaschutz bei der DGNB finden Sie Informationen, Anregungen und Hilfestellungen für konkrete Maßnahmen rund um den Klimaschutz.
Die Wirkung der Klimakrise in der Praxis
Insbesondere bei gewerblichen Objekten macht Jan Zak in seiner Rolle als Nachhaltigkeitsberater beim Karlsruher Büro ikl Ingenieurbüro Prof. Dr.-Ing. Kunibert Lennerts GmbH die Erfahrung, dass die Notwendigkeit von Klimaschutz und nachhaltigem Bauen durchaus verstanden wurde. Allerdings werde nach wie vor hinterfragt, was denn wirklich getan werden müsse und welche Förderung der Staat dafür gebe. Diese Haltung sei über Jahre hinweg anerzogen worden und nun schwer aus den Köpfen der Investierenden zu bekommen.
Zu beobachten sei jedoch die Wirkung von EU-Taxonomie und dem Carbon Risk Real Estate Monitor (CRREM). Das CRREM Tool hilft Investierenden dabei, finanzielle Risiken, die mit einer schlechten Energieeffizienz einhergehen zu erkennen und zu beurteilt, ob eine Immobilie den sich verändernden Anforderungen an den Klimaschutz gewachsen ist.
Der niederländische Projektentwickler EDGE Technologies gilt als Vorreiter beim innovativen und nachhaltigen Bauen. Jürgen Reimann, Executive Development Director bei EDGE beobachtet, dass die Krise zumindest den positiven Effekt hat, dass Unternehmen, die früher keinen Wert auf nachhaltige Innovation gelegt haben, endlich umdenken und sich insbesondere bei der Energieversorgung offen für neue Wege zeigen.
Ein wichtiges Glied in der Kette sei aber auch der Mietende, der sich zum einen aufgrund eigens gesteckter Ziele zunehmend in der Pflicht sieht, in einem nachhaltigen Gebäude zu arbeiten und zum anderen bei den Nebenkosten auf Sicherheit achte.

Einen weiteren Blick in die Praxis bietet der Impulsvortrag „Nachhaltigkeitsstrategien von Projektentwicklern“ von Anja Köhler, Sustainability Innovation Manager bei EDGE Technologies.
Das Sorgenkind Bestand
Beim Neubau gilt es also, frühzeitig den richtigen Weg einzuschlagen und auch im laufenden Projekt immer wieder innezuhalten und sich zu fragen, ob im Sinne des Klimaschutzes bereits alle Maßnahmen getroffen worden sind. Doch wie gehen wir mit dem Bestand um? Um die Klimaziele bis 2045 zu erreichen, ist in diesem Bereich noch enorm viel zu tun.
Und hier liegen laut Jan Zak die eigentlichen Herausforderungen, für die der politische Rahmen aktuell noch fehle. Eine Lösung wäre in den Augen von Jürgen Reimann, Bestandsimmobilien massiv abzuwerten, um Investitionen rentabel zu machen. In den Niederlanden gehe man seit diesem Jahr einen radikalen Weg: Gewerbliche Gebäude, die der Energieeffizienzklasse C nicht genügen, dürfen nicht mehr vermietet werden und verlieren ihren Wert.
Dr. Anna Braune merkt dazu an, dass in Holland bereits mit der Ankündigung dieser Gesetzesänderung vor fünf Jahren begonnen wurde zu sanieren. Aktuell zeichne sich die Umsetzung dieser Gesetzgebung auf europäischer Ebene ab. Dadurch würde sich auch hierzulande die Energiegesetzgebung ändern, in der der Bestand bislang sträflich vernachlässigt wurde.
Alle müssen mitmachen – jetzt!
Wie bei jedem erfolgreichen Projekt ist es auch beim nachhaltigen Bauen unabdingbar, dass alle Beteiligten ein einem Strang ziehen. Angefangen beim Bauherrn, der sich mit Hilfe eines guten Beratenden frühzeitig Gedanken zu den Nachhaltigkeitszielen machen muss. Im Projektverlauf darf dann nicht verpasst werden, Entscheidungen im richtigen Moment zu treffen. Dazu müssen gute planende und ausführende Unternehmen ins Boot geholt werden, die ebenfalls von der Sache überzeugt und bereit sind, Herausforderungen anzunehmen, um ans Ziel zu kommen.
Zum Abschluss ruft Dr. Anna Braune alle Eigentümerinnen und Eigentümer dazu auf, einen individuellen Klimaschutzfahrplan vom Energieberatenden erstellen zu lassen. Die notwenigen Maßnahmen zur energetischen Sanierung ließen sich je nach finanzieller Möglichkeit auch in kleinen Abschnitten realisieren.

Die gesamte Gesprächsrunde zum Themenraum „Klimaschutz-Reset: Welche Möglichkeiten es bei laufenden Projekten gibt“ beim DGNB Jahreskongress 2023 findet Sie auf dem DGNB YouTube-Kanal.
Weitere Beiträge zur Blogserie:
- Der DGNB Gebäuderessourcenpass: Dokumentation für mehr geschlossene Kreisläufe
- Biodiversität schützen – von gut gemeint zu gut gemacht
- Leben im Klimawandel: Leben wir in unseren Städten richtig?
- Stadtleben, Gesundheit und Psyche: Welchen Einfluss haben Bauweise und Stadtgestaltung auf uns?