DGNB, Interview
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„Zertifizierungssysteme werden ein Muss sein“ – Interview mit Matthias Schultze (GCB German Convention Bureau)

Weltweit rangiert Deutschland auf Platz 2 als anerkannter Tagungs- und Kongressmarkt. Damit dies so bleibt, sind in der Studie „Tagung und Kongress der Zukunft“ acht Megatrends und die daraus resultierenden Handlungsfelder identifiziert worden. Einer dieser Megatrends: Nachhaltigkeit. Warum in diesem Zusammenhang ein DGNB Zertifikat als ein Muss eingestuft wird und weitere Fragen hat uns Matthias Schultze, Geschäftsführer des GCB German Convention Bureau e.V., beantwortet. 

Henny Radicke: Herr Schultze, in Ihrer Zukunftsstudie werden die Entwicklungen der Veranstaltungsbranche bis zum Jahr 2030 skizziert. Ein Top-Trend in diesem Zusammenhang ist eine nachhaltige Entwicklung. Was ist damit gemeint?

Matthias Schultze, Geschäftsführer GCB German Convention Bureau e.V.

Matthias Schultze, Geschäftsführer GCB German Convention Bureau e.V.

Matthias Schultze: Der Trend der nachhaltigen Entwicklung umfasst drei Bereiche: Die ökologische Nachhaltigkeit macht sich zum Beispiel in verschärften Umweltstandards und damit verbundenen Zertifizierungen und Rankings bemerkbar.
Die ökonomische Nachhaltigkeit sorgt unter anderem für Ressourceneffizienz sowie eine zunehmende regionale Verankerung von Veranstaltungen. Die soziale Nachhaltigkeit als dritte Säule bezieht etwa den Umgang mit den eigenen Mitarbeitern ein, aber auch die Verantwortung gegenüber Arbeitsbedingungen bei Lieferanten und Dienstleistern. Im Bereich von Tagungen und Kongressen bedeutet dieser Trend eine Zunahme an Veranstaltungen und Veranstaltungsstätten, die sich in der gesamten Angebotspalette deutlich an Nachhaltigkeitsprinzipien ausrichten und entsprechende Qualität bieten.

HR: In der Studie heißt es sinngemäß, dass Zertifizierungssysteme wie das der DGNB an Bedeutung gewinnen – ja, geradezu ein Muss sein werden. Das freut uns natürlich sehr, doch was bedeutet das ganz konkret?

MS: Durch die in der Zukunftsstudie definierten Herausforderungen – etwa verschärfte Umwelt- und Sozialstandards sowie die Forderung nach mehr Transparenz – ist es notwendig, die Bemühungen von Anbietern glaubhaft und transparent darzustellen und belegen zu können. Unabhängige Zertifizierungen sind dafür ein ideales Instrument. Außerdem machen am Markt etablierte Zertifizierungen Angebote für die Kunden vergleichbar und erleichtern somit die Entscheidung für einen Veranstaltungsort. Darüber hinaus stehen Zertifizierungen im Bereich der Nachhaltigkeit im Idealfall für einen strategischen Ansatz im Unternehmen – dies steigert zusätzlich dessen Effizienz und Glaubwürdigkeit.

HR: Mit Blick auf die Nachhaltigkeit: Wo steht Ihre Branche bei diesem Thema heute?

MS: Das „Meeting- & EventBarometer Deutschland 2014/15“ bestätigt die wachsende Bedeutung nachhaltiger Veranstaltungsorganisation in Deutschland: Der Anteil der deutschen Tagungs- und Kongressanbieter, die ein Nachhaltigkeitsmanagementsystem etabliert haben, lag 2015 bei 43,2 Prozent – eine Steigerung von 16 Prozentpunkten gegenüber 2011. Für Veranstaltungsplaner aus dem In- und Ausland, die in diesem Zusammenhang befragt wurden, sind Nachhaltigkeitsinitiativen in der Veranstaltungsbranche ein wichtiges Qualitätsmerkmal: Mehr als 50 Prozent von ihnen bevorzugen Anbieter, die ein Nachhaltigkeitsmanagementsystem nachweisen können; 2011 galt dies für lediglich ein Drittel. Auch die Teilnehmerzahlen am Weiterbildungsangebot des GCB für nachhaltige Veranstaltungsplanung spiegeln das große Interesse der Branche am Thema wider: Am Seminar „Nachhaltigkeitsberater in der Veranstaltungsbranche“ haben im Zeitraum von 2012 bis 2015 über 400 Mitarbeiter teilgenommen. Ein weiterer Indikator für die Bedeutung, die der Nachhaltigkeit in der deutschen Tagungs- und Kongressbranche zukommt, ist die Vielzahl an Unterstützern des Nachhaltigkeitskodex „fairpflichtet“: Im Jahr 2011 vom GCB und dem EVVC Europäischer Verband der Veranstaltungs-Centren e.V. gemeinsam ins Leben gerufen, verzeichnet der Kodex heute mehr als 192 Unterstützer, die 540 Einzelbetriebe (zum Beispiel verschiedene Häuser einer Hotelkette) repräsentieren. Diese Unternehmen und Institutionen der Veranstaltungsbranche in Deutschland, Österreich und der Schweiz haben sich freiwillig verpflichtet, nachhaltig zu wirtschaften und dies transparent zu dokumentieren.

HR: Erweitern wir unsere Perspektive ein bisschen und schauen über die Grenzen Deutschlands hinaus. Wie schneidet Ihre Branche da im Vergleich zu anderen Ländern beim Thema Nachhaltigkeit ab?

MS: Deutschland ist bekannt als führendes Land im Bereich der Umweltstandards. Ein Beleg dafür ist zum Beispiel die Platzierung von Frankfurt am Main auf dem Spitzenrang im „Sustainable Cities Index“ von ARCADIS aus dem Jahr 2015.

Das Kap Europa in Frankfurt am Main ist das weltweit erste Kongresshaus mit einem DGNB-Zertifikat in Platin!

Das Kap Europa in Frankfurt am Main ist das weltweit erste Kongresshaus mit einem DGNB-Zertifikat in Platin! (© ECE)

Unter den nachhaltigsten Städten der Welt ist demnach auch Berlin auf Platz sechs. Von diesem positiven Image profitiert Deutschland auch als Destination für nachhaltige Tagungen und Kongresse. Insgesamt behauptet Deutschland als Veranstaltungsstandort im internationalen Wettbewerb seit Jahren eine Spitzenposition: Bereits seit mehr als zehn Jahren steht Deutschland etwa laut International Congress & Convention Association (ICCA) als Ziel internationaler Verbandskongresse in Europa auf Rang eins und im globalen Vergleich nach den USA auf Platz zwei. Der deutsche Veranstaltungsmarkt verzeichnete im Jahr 2015 laut „Meeting- & EventBarometer 2015/16“ insgesamt 393 Millionen Teilnehmer bei 3,06 Millionen Veranstaltungen.

 HR: Nicht nur eine nachhaltige Entwicklung wurde als Megatrend identifiziert. Welche weiteren Trends gibt es noch und wie werden sich diese in den kommenden Jahren entwickeln?

 MS: Die Zukunftsstudie hat neben der nachhaltigen Entwicklung vor allem vier weitere Megatrends identifiziert, die im Zeitraum bis 2030 in besonderem Maß die Tagungs- und Kongressbranche beeinflussen werden. An erster Stelle steht dabei die Technisierung der Arbeits- und Lebenswelten, insbesondere die Digitalisierung sämtlicher Prozesse bei der Veranstaltungsorganisation, aber auch die Vernetzung und Automatisierung in Gebäuden.

Die acht Megatrends der Studie „Tagung und Kongress der Zukunft“

Ein wichtiger Megatrend ist auch die Globalisierung, die neue Zielgruppen und Quellmärkte eröffnet sowie zugleich den internationalen Wettbewerb verstärkt. Erwartungsmuster, Sprachen, kulturelle Verhaltensweisen sowie Kommunikations- und Interaktionsformen müssen bei der Organisation erfolgreicher Tagungen und Kongresse zukünftig noch stärker berücksichtigt werden.

Die Zukunft von Tagungen und Kongressen wird weiterhin geprägt sein von neuen Mobilitätskonzepten. Für Anbieter und Veranstaltungsplaner wird es wichtig sein, sich aktiv mit dem Thema Mobilität zu befassen und ihren Platz innerhalb der multimodalen Mobilitätskette zu definieren.

Schließlich wird der demografische Wandel mit einem weltweit steigenden Anteil von Menschen über 60 Jahren auch das Segment von Tagungen und Kongressen verändern. Global wird sich die Veranstaltungsbranche auf diese neue Zielgruppe einstellen dürfen und somit auf ein entsprechend hohes Potenzial an neuen Besuchern von Tagungen und Kongressen. Gleichzeitig schreitet in der jüngeren Generation eine Individualisierung und Diversifizierung voran – die Tagungs- und Kongressbranche steht somit vor der Herausforderung, die einzelnen Teilnehmer jeweils in ihrer gesamten und besonderen Persönlichkeit wahrzunehmen.

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Henny Müller ist seit 2016 bei der DGNB. Aktuell ist sie dort als Senior Projektleiterin für die Wissensstiftung verantwortlich. Davor arbeitete sie als Leiterin Digitale Kommunikation bei der DGNB in der Abteilung PR und Kommunikation. Zielgruppenorientiertes Arbeiten, ein Gespür für Themen und Inhalte zu entwickeln und Kommunikation mit all ihren Facetten zu erleben, zu nutzen und zu bedienen sind Aufgaben, die sie seit ihrem Volontariat beim Regionalfernsehen in Stuttgart sowie als Referentin in der Stabsstelle Kommunikation der Baden-Württemberg Stiftung begleiten.

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