Das neue Jahrzehnt, Impuls, Nachhaltiges Bauen
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Nachhaltige Stadtentwicklung: Jetzt reden die Städte!

Nordhavn quarter Denmark

Verkehrs- und Energiewende, Klimaschutz, Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum, Partizipation und Digitalisierung – die großen Herausforderungen unserer Zeit spielen sich in den Städten und ihren Agglomerationen ab. Vieles konnte bereits angestoßen werden, um eine nachhaltige Entwicklung auf der kommunalen Ebene umzusetzen. Mit der Covid-19 Pandemie sind die Forderungen so aktuell wie nie zuvor. Jetzt gilt es die transformative Kraft der Städte bis in die Verwaltung hinein zu fördern!

BLOGSERIE ZUM NEUEN JAHRZEHNT (TEIL 6)
2020 ist nicht irgendein Jahr. 2020 heißt: Nur noch zehn Jahre bis 2030, das Jahr, an das so viele Nachhaltigkeitsziele geknüpft sind. Vor diesem Hintergrund gibt das DGNB Präsidium eine Einschätzung zur Entwicklung des Gebäudesektors in den letzten zehn Jahren ab und blickt nach vorn. Ein Thema, sechs Perspektiven.

 

In Sachen Nachhaltigkeit wurden in den letzten zehn Jahren zwei wesentliche Grundlagen geschaffen. Die Vereinten Nationen konnten sich länderübergreifend auf Forderungen nachhaltiger Stadtentwicklung verständigen und erstmals erhielten die Städte eine Stimme im globalen Politikdiskurs.

Wichtige Dokumente für Städte und Nachhaltigkeit

Insbesondere seit Mitte der 2010er Jahre kommt es Schlag auf Schlag. Die Staatengemeinschaft einigte sich erstmals auf 17 konkrete Ziele für eine nachhaltige Entwicklung. Zudem ebnete sie mit dem Paris-Abkommen den Boden für aktiven Klimaschutz. Welche Anforderungen sich daraus explizit für die Stadt ergeben, wurde in einem weiteren globalen Dokument, der New Urban Agenda der Vereinten Nationen, ausformuliert.

In Europa wird noch in diesem Jahr die „New Leipzig Charter“ zur nachhaltigen europäischen Stadt im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft verabschiedet werden. Die transformative Kraft der Städte hat darin insbesondere drei Dimensionen: gerecht – grün – produktiv. Sie baut auf die 2007 erstmals verabschiedete Leipzig Charta auf. Letztere stellt damit bis heute ein Referenzdokument für Prinzipien integrierter Stadtentwicklung in Europa dar.

Leipzig Charta: drei konkrete Handlungsschritte

Im Zuge der Vorbereitung der neuen Leipzig Charta, fasste Prof. Dr. Klaus Beckmann, Präsident der ARL, die zentralen Handlungsfelder zusammen. Nicht ohne zu betonen, dass ihr Gelingen nur durch ein gemeinsames Verständnis und eine Zusammenarbeit von Bund, Ländern, Gemeinden, Fachpolitik, Stakeholder, Wirtschaft und Gesellschaft möglich wird.

  1. Soziale Teilhabe für alle
    Hier geht es um die Verringerung sozialer, wirtschaftlicher, digitaler und räumlicher Ungleichheiten durch Integration, Zugang zu Arbeit, Bildung, Wohnen, Versorgung, Erholung, Gesundheit und Kommunikation. Aber auch die Vermeidung der „Ungerechtigkeit des Klimawandels“ spielt eine wichtige Rolle.
  2. Intensivierung von Energiewende, Klima- und Ressourcenschutz
    Die Lösungen liegen hier in der Kreislaufwirtschaft und einer effizienten, konsistenten und suffizienten Planung.
  3. Aktive, partizipative, transparente und gerechte Wohn- und Flächenpolitik
    So eine Politik fördert die Nutzungsmischung, die nachhaltige Flächennutzung, die Gestaltung öffentlicher Räume und vor allem sucht sie die gesellschaftliche Diskussion zur Verfügbarkeit von Boden!

Die Digitale Transformation ist in der „New Leipzig Charter“ durchgehend als eine zentrale Querschnittsaufgabe verankert. Das fängt bei Breitbandinfrastrukturen an, geht über technische Innovationen in Gebäuden und Quartieren bis hin zu nachhaltigen Verkehrssystemen, die die vernetzte Kommunikation voraussetzen.

  • Agenda 2030 sustainable development goals
    2015 beschlossen alle 193 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen die Agenda 2030 für eine nachhaltige Entwicklung.

Pakt von Amsterdam: Städte erhalten eine Stimme!

Die Entwicklungen zeigen: Den Staaten wurde in den letzten Jahren zunehmend bewusst, dass Städte für eine nachhaltige Entwicklung eine Schlüsselrolle spielen. In Hinblick auf die Mitsprache der Städte auf EU-Ebene ist hier noch der Pakt von Amsterdam von 2016 hervorzuheben, aus dem die EU-Städteagenda hervorging. Im Sinne des Multilevel Governance Ansatz bringen damit Städte erstmals dezidiert ihre Erfahrungen in die EU-Politik ein. Sie sind in 14 Themenpartnerschaften − Arbeit und Bildung in der lokalen Wirtschaft, Digitaler Wandel, Städtische Mobilität, Kultur und kulturelles Erbe, Sicherheit im öffentlichen Raum, etc. − aufgefordert, an Rechtssetzung, Förderprogrammen und der Stärkung von Netzwerken mitzuwirken. Als einzige deutsche Stadt erhielt Karlsruhe 2017 zusammen mit der Tschechischen Republik den Lead für die Partnerschaft „Urbane Mobilität“. 2020 wird sie dieses Projekt mit neun Actions zum Handeln abschließen.

Erwartungen an die moderne Stadt

Soweit der Rahmen, aber was sind nun die Fragestellungen, über die in Brüssel und in den Städten der Welt gesprochen wird? Zwei Themen sind in den letzten Jahren in den Mittelpunkt gerückt und begleiten uns in die Zukunft.

  • Rahmenplan Zukunft Nord Karlsruhe
    Unter dem Titel "Zukunft Nord" entwickelt die Stadt Karlsruhe ein nachhaltiges Stadtquartier auf einer etwa 26 Hektar großen Fläche, das möglichst zukunfts­si­cher und en­kel­taug­lich sein soll. © Stadt Karlsruhe

Lebensqualität

Seit mehreren Jahren erleben wir die „Renaissance der Stadt“. Innenstädte sind als Wohn- und Lebensmittelpunkt wieder attraktiv geworden. Damit einher geht die große Frage nach der Lebensqualität in Städten – hier hat sich viel getan! Die gezielte Förderung benachteiligter Stadtteile und der neue Fokus auf den öffentlichen Raum, der sinnbildlich für Demokratie und Teilhabe steht, sind nur einige Beispiele, die in den Fokus der Städte rücken. Daneben erfahren das Quartier und seine Durchmischung eine neue Aufmerksamkeit. Die Sehnsucht nach Heimat findet hier Antworten in einer gemeinwohlorientierten Nachbarschaft, Solidarität und der Kultur des Teilens. Daran schließen sich die Diskussion um Dichte und Freiraum und die Forderung nach bezahlbarem Wohnraum.

Stresstest Stadt

Seit geraumer Zeit beschäftigt sich die Stadtforschung intensiv mit dem Begriff der Resilienz. Haupttreiber: der Klimawandel. Vor diesem Hintergrund werden Strategien entwickelt, um grundlegende städtische Funktionen unter Bedingungen von Stress und Störungen aufrechtzuerhalten. Auch hier sind zahlreiche Städte bereits auf einem „widerstandsfähigen“ Weg. Das Baugesetzbuch hat mit der letzten Novelle eine Erweiterung der Umweltprüfung auf Klimaanpassung und Katastrophenrisiken verankert. Damit wird ein wesentlicher Aspekt des Resilienz-Ansatzes verankert. Wer hätte gedacht, dass 2020 ein weiterer „Störfall“ namens COVID-19 auftauchen würde, der gerade diese Forderungen umso dringender macht und die Stadtplanung aktuell Szenarien diskutieren lässt: „Wie soll das Umfeld aussehen, in dem ich mich mehrere Wochen aufhalten muss?“ Eine Antwort ist gar nicht neu: die Stadt der kurzen Wege. In Karlsruhe sagen wir: „Die 5-Minuten-Stadt“.

Ausblick: drei To Dos

Ich sehe drei Hindernisse, die die Umsetzung der Schritte erschweren: die Implementierung der Ziele im Stadtmanagement, die große Differenz zwischen Großstädten und kleineren Kommunen und die fehlende Ganzheitlichkeit bei vielen Themen. Wir brauchen also:

  1. Die Skalierung der Themen bis in die Verwaltungsebene der Städte hinein. Dazu helfen finanzielle Mittel ebenso wie Best Practice Beispiele und Persönlichkeiten, die sich in der Planung für Themen starkmachen.
  2. Die Stärkung der kompakten Stadtstruktur gerade auch in den Umland-Kommunen
  3. Ein ganzheitlicher Ansatz für Nachhaltigkeitsthemen, wie er im
    Das Zertifizierungssystem macht die Planung nachhaltiger Stadtquartiere möglich.

    Macht die Planung nachhaltiger Stadtquartiere möglich: Das DGNB System

    DGNB Zertifizierungssystem für Quartiere aufgezeigt wird. Das zeigt das Beispiel der Energie. Zwar hat sich hinsichtlich nachhaltiger Mobilitätskonzepte und energetischen Sanierungen viel getan, dennoch ist der Energieverbrauch und damit der CO2-Ausstoß immer noch viel zu hoch. Das Problem: zu viele Pendler, große Wohnungen und Mieterhöhung infolge von Sanierungen. Die Nachhaltigkeitskriterien sind noch nicht in den persönlichen Verhaltensweisen angekommen.

Produktiv und positiv!

Nicht zuletzt leite ich gerade aus der aktuellen Situation das ab, was wir für unsere Zukunft brauchen. Der wichtigste Schlüssel für eine starke psychische Immunabwehr ist nicht, in blinden Optimismus zu verfallen oder sich etwas vorzumachen. Eine produktive Haltung einnehmen und positiv in die Zukunft sehen, das zahlt sich aus.


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Bereits im Studium der Architektur legte Prof. Dr.-Ing. Anke Karmann-Woessner ihren Schwerpunkt auf den Städtebau. Im Rahmen einer mehr als 10-jährigen Tätigkeit in der Bayerischen Staatsbauverwaltung vertiefte sie diesen. Bis heute folgten Lehraufträge in den Bereichen Regionalentwicklung, Stadtplanung und Stadtmanagement an internationalen Hochschulen sowie Verantwortungen für Europäische Förderprogramme. Seit mehr als zehn Jahren ist sie in ihrer Rolle als Leiterin des Stadtplanungsamtes federführend an der Stadtplanung beteiligt – erst in der Region Stuttgart, seit 2013 in Karlsruhe. Diese vielseitigen Erfahrungen bringt sie bei der DGNB im Beirat für nachhaltige Stadtentwicklung und seit 2019 im DGNB Präsidium ein und fördert den Wissensaustausch national und international.

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