„Nachhaltigkeit in der Architektur“: Unter diesem Titel diskutierten Gäste aus den Bereichen Architektur, Immobilienwirtschaft, Forschung und Politik im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Elephant in the room“ an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart (ABK). Unter anderem sprachen sie über die Bedeutung des Begriffs selbst, die richtigen Stellschrauben und die Frage, wo die sinnbildlichen Elefanten im Raum nachhaltiger Architektur zu finden sind.
Es ist eine bunt gemischte Gruppe, die sich im Glaskasten der ABK versammelt hat. Eine Mischung mit Potenzial für kontroverse Diskussionen. Neben Dr. Anna Braune (Abteilungsleiterin Forschung und Entwicklung, DGNB) sitzen Stefan Behnisch (Gründungspartner von Behnisch Architekten), Caroline Thaler (Mitgründerin von Architects for Future), Jan Theissen (Freier Architekt, AMUNT), Christian Holl (Herausgeber des Online-Magazins Marlowes), Rainer Ganske (Geschäftsführer der Böblinger Baugesellschaft) und Michael Conz (FDP) in der Gesprächsrunde. Matthias Rudolph, Professor für Gebäudetechnologie und klimagerechtes Entwerfen an der ABK und Mitglied des DGNB Präsidiums, moderiert das Gespräch.
Dass Nachhaltigkeit elementarer Teil zukunftsfähiger Architektur ist, da sind sich hier alle einige. Ein kurzer Blick auf die aktuelle Weltlage, den voranschreitenden Klimawandel und unsere endlichen Ressourcen ist an dieser Stelle vollkommen ausreichend. Doch: Ist der Begriff der Nachhaltigkeit zwar aktuell allgegenwärtig, ist er dennoch nicht leicht zu greifen. Bereits die Einstiegsfrage „Was ist Nachhaltigkeit?“ bietet sehr unterschiedliche Antworten und Diskussionspotenzial.
Nachhaltigkeit – was heißt das eigentlich?
Wirklich gefallen tut der Begriff wenigen. Er ist zu weit gefasst, zu abstrakt, zu passiv. Bereits in seinem Eingangsstatement gibt Christian Holl den Anstoß, Nachhaltigkeit als ein Verb zu verstehen – nichts Statisches, sondern ein Prozess. Der „aktive“ Gedanke trifft auf breite Zustimmung.
Wird der Blick auf „nachhaltige Gebäude“ gerichtet, werden die Beschreibungen und Vorstellungen der Podiumsgäste, die jeweils andere Berührungspunkte mit dem Thema haben, konkreter. Rainer Ganske betont direkt zu Beginn mit Bezug zur DGNB die Relevanz einer ganzheitlichen Betrachtung über den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes – wobei am Ende im Optimalfall mit Blick auf den Ressourcen- und Energieeinsatz die Null stehen sollte.

Transparenz spielt für Dr. Anna Braune eine zentrale Rolle beim nachhaltigen Bauen.
Und Anna Braune hält fest, dass Nachhaltigkeit heißt, die Bedürfnisse aller Menschen zu befriedigen, und wir uns bei jedem Projekt – gerade in einer globalen Gesellschaft – die kritischen Fragen stellen müssen, wie: Woher kommen die Ressourcen? Wie sind die Herstellungsbedingungen? Sind die Produkte frei von Schadstoffen?
„Wir müssen lernen, wieder freier zu denken“
Theissen ergänzt eine weitere Perspektive. Er stellt mit Blick auf die Zukunftsfähigkeit insbesondere die Wandelbarkeit von Gebäuden in den Vordergrund. Für ihn müssen Strukturen nutzungsoffen gestaltet werden und am besten mehrere Leben haben.
Behnisch mahnt zudem, Klischees aus der Debatte herauszuhalten und das Ziel vor lauter Einzelheiten nicht aus den Augen zu verlieren. „Wir müssen darauf achten, pro Tag nicht mehr zu verbrauchen, als die Erde an dem Tag produziert. Das ist doch das ultimative Ziel.“
Aber auch für DAS nachhaltige Gebäude gibt es kein Patentrezept. Vor allem nicht, wenn wir es ausschließlich in der Vergangenheit suchen. Für Behnisch ist klar, es kann nicht die Lösung sein, Überliefertes anzupassen und Lösungen aus bereits Bekanntem zu entwickeln. „Wir müssen lernen, wieder freier zu denken“ ist ein Appell, sich zu trauen vollkommen neue Strukturen zu schaffen, um zukunftsfähige Lösungen zu entwickeln.
Die Frage nach dem Ansatzpunkt

Auch das Publikum brachte sich mit zahlreichen Beiträgen in die Diskussion ein. © Behnisch Architekten
Zu Diskussionen führten besonders die Fragen nach den richtigen Stellschrauben. Welche Rolle spielt die Politik? Wie kann das Thema vermehrt an die Universitäten getragen werden? Wie kann das Thema an Auftraggeber herangetragen werden? Welche Rolle spielen „Eliten“ und welchen Beitrag kann jeder einzelne leisten? – Fragen die auch in dieser Runde nicht abschließend geklärt werden können.
Nachhaltige Architektur und ihre fünf kleinen Elefanten
Was die Diskussion zeigt, ist, dass der Gesprächsbedarf auch zu den Grundlagen trotz der aktuellen Allgegenwärtigkeit des Themas groß ist. Nach mehr als eineinhalb Stunden scheinen sowohl Podiumsgäste, als auch Publikum noch lange nicht am Ende der Debatte. Dennoch übergibt Rudolph das Wort an Holl für einen kurzen Impulsvortrag – zu den sinnbildlichen fünf kleinen Elefanten im Raum der nachhaltigen Architektur, die eindeutig da sind, aber keiner sehen will:
- Technologie löst keine Probleme: Im Gegenteil, Technologie erfordere den Einsatz von Energie, sie erzeuge Rebound-Effekte und verursacht Versorgungsprobleme. Zudem gehe sie davon aus, dass neue Technologie immer attraktiver macht.
- Technologie verdeckt, dass Nachhaltigkeit kein Problem ist, das final gelöst werden kann: Die Vorstellung, dass es einen langfristig stabilen Zustand gibt, sei eine Illusion, weil wir die Welt durch unser Handeln verändern. Entsprechend müssen wir uns auch die Frage, was wir unter Nachhaltigkeit verstehen, immer wieder neu stellen.
- Nachhaltigkeit ist kein „On-top“: Nachhaltigkeit könne weder bei Neubauten noch im Bestand hinzugefügt werden. Nachhaltigkeit müsse systematisch von Anfang an mitgedacht werden.
- Nachhaltigkeit muss ausgehandelt werden: Es müsse ein permanenter Dialog geführt werden, was nachhaltig für uns bedeutet.
- Architektur ist nie fertig: Wir sollten weg von der Vorstellung, dass Architektur ein abgeschlossenes Werk ist und den „Höhepunkt seiner Qualität erreicht hat, bevor der Nutzer kommt“. Umnutzung und Umdeutung von Architektur biete ein großes Potenzial – dazu gehöre Hinzufügen und Wegnehmen. Architektur müsse sich verändern können.
Die Runde reagiert mit nachdenklichem Schweigen. Stefan Behnisch nickt anerkennend und hält fest: Dem ist nichts hinzuzufügen.