„Immobilienzertifizierung – Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit im Fokus“: So lautet der Titel einer Studie und Publikation, die die TÜV Rheinland Industrie Service GmbH im vergangenen Jahr in Zusammenarbeit mit der ifes GmbH veröffentlicht hat. Für den DGNB Blog haben wir mit der Autorin Daniela Merkenich über einige zentrale Inhalte des Buchs gesprochen.
Felix Jansen (FJ): Die Studie hat die drei großen Zertifizierungssysteme am Markt – BREEAM, DGNB, LEED – näher untersucht. Was sind die wesentlichen Unterschiede?

Die Autorin der Studie: Daniela Merkenich
Daniela Merkenich (DM): Grundsätzlich unterscheiden sich die drei Systeme zum einen in den Inhalten und der entsprechenden Definition der Nachhaltigkeit, zum anderen in der Art der Herangehensweise an die Bewertung und Analyse des Gebäudes. Während DGNB als System der zweiten Generation die Nachhaltigkeit bereits von Beginn an ganzheitlich definiert hat und auch gesellschaftliche und lebenszyklusorientierte Aspekte in den Bewertungskriterien implementiert hat, sind BREEAM und LEED inhaltlich noch mehr auf ökologische Aspekte und die Nachhaltigkeit in Form des Umweltschutzes fokussiert, auch wenn LEED mit der aktualisierten Version v4 bereits den Weg zu einer ganzheitlicheren Definition einschlägt.
Auch in der Bewertungsweise lässt sich DGNB von BREEAM und LEED unterscheiden. Das DGNB System betrachtet die Performance des Gebäudes unter allen Gesichtspunkten der Nachhaltigkeit und verteilt die Bewertungspunkte nach Möglichkeit anhand von Referenzwerten. BREEAM und LEED vergeben Punkte für die Erfüllung von abgefragten Maßnahmen und deren Umsetzungstiefe im Projekt. Während die letztere Herangehensweise die Erstellung einer einfacheren Maßnahmenliste für ein nachhaltiges Gebäude zulässt, ist im DGNB System der Planer freier und das Projekt kann über individuelle Qualitäten zu einer guten Bewertung gelangen.

Die DGNB verfolgt in ihrem Zertifizierungssystem das Prinzip der performanceorientierten Bewertung | Bild: TÜV Rheinland Industrie Service GmbH / ifes GmbH
FJ: Untersucht wurde auch, was der Mehrwert einer Zertifizierung ist. Was sagen Stimmen aus der Praxis?
DM: Im Rahmen der Studie haben wir sowohl aktuelle Zahlen aus dem Immobilienmarkt recherchiert als auch konkrete Stimmen aus der Praxis gesammelt, die in unterschiedlichster Weise in die Zertifizierung eines Projekts involviert waren. Dabei zeigt sich, dass sich die Immobilienzertifizierung von einem Trend, der sich mit doing the right thing beschreiben ließ, zu einem wirklichen business case entwickelt hat. Die Motivation und damit der Mehrwert der Zertifizierung hängen dabei von der Sichtweise ab und reichen von der einfachen Kunden- und Mieternachfrage über Einsparungen in den Betriebskosten und einem allgemeinen Verantwortungsbewusstsein bis zur Steigerung des Immobilienwerts und die Nutzung der Zertifizierung für Marketing- und Kommunikationszwecke. Egal auf welchem Kontinent hebt sich ein zertifiziertes Gebäude von dem restlichen Markt ab und steigert sowohl die globale wie auch lokale Wettbewerbsfähigkeit.
Die Stimmen aus der Praxis bestätigen diese Recherchen. Investoren schätzen die unabhängige Bewertung der Immobilie und die damit verbundene Glaubwürdigkeit der Zertifizierung und wünschen sich eine international anerkannte Herangehensweise der verschiedenen Standards. Architekten verstehen die Zertifizierung gerne als Tool, um für Nachhaltigkeitsaspekte zu sensibilisieren und alle Beteiligten für diese Werte zu überzeugen und gleichzeitig ihre Projekte zu strukturieren. Andere nutzen den Prozess der Zertifizierung, um das Wohlbefinden und die Gesundheit ihrer Mitarbeiter zu sichern und die Qualitäten zu dokumentieren. Wir haben auch Kunden, die ihre Gebäude gleich nach mehreren Systemen zertifizieren lassen, um sowohl internationalen Partnern das Bestreben des Unternehmens zu symbolisieren, als sich auch mit dem DGNB System an der ganzheitlichen Herangehensweise und der Qualität made in Germany messen zu lassen.
Sehr aufschlussreich war auch ein Interview mit dem Bauherr des Gebäudes, in dem wir selbst arbeiten. Er hat mit dem Gebäude bereits an der Pilotphase der DGNB teilgenommen und ist heute noch überzeugt davon, dass die Kriterien zur Verbesserung der Gebäudequalität und zu einer höheren Nutzerzufriedenheit beitragen. Jeglicher Mehraufwand durch die Zertifizierung gleicht das von ihm so bezeichnete sorgenfreie Paket für die Nutzungsphase aus. Auch wenn er nicht alle Gebäude zertifiziert, wendet er mit seinen Planungsteams die Fragenkataloge und Qualitätsmerkmale bei jedem weiteren Gebäude wieder an.
FJ: Was war die Motivation dieser Publikation? Welches Ziel verfolgt ihr als ifes GmbH damit?

Die Publikation umfasst 136 Seiten und ist im Handel erhältlich | ©TÜV Rheinland Industrie Service GmbH / ifes GmbH
DM: Die Initialzündung zur Erstellung der Studie kam durch unsere Muttergesellschaft, den TÜV Rheinland. Hier wurde von Seiten der Immobilienbranche immer wieder der Wunsch nach einer objektiven Darstellung der Gebäudezertifizierung und den damit verbundenen Vorteilen und Aufwänden geäußert. Mit unserer Erfahrung aus zahlreichen Zertifizierungsprojekten, die sich auch in Größe und Repräsentativität sehen lassen können, sowie dem breiten Angebot an Zertifizierungssystemen in unserem Portfolio sahen wir uns in der Lage, diesem Wunsch nachzukommen.
Mit der Studie wollen wir Investoren und Bauherren, Architekten und Fachplanern, aber auch anderen Interessierten aus der Immobilienbranche ein Instrument an die Hand geben, das einen Überblick über die aktuell am Markt verfügbaren Zertifizierungssysteme gibt und den Prozess von der Idee der Zertifizierung bis zur Zertifikatsverleihung und die damit verbundenen Aufwände und Aufgaben für den Bauherr und das Planungsteam beschreibt. Außerdem werden die grundlegenden Inhalte und Anforderungen der drei großen und international anerkannten Systeme, BREEAM, DGNB und LEED erläutert, so dass der Bauherr und sein Planungsteam herausfinden können, welches für das spezifische Projekt und die jeweilige Intention zur Zertifizierung am besten geeignet ist.
Wir möchten damit nicht die Beratungsleistung des Auditors oder der Zertifizierungsstellen untergraben, sondern vielmehr dazu auffordern, die Zertifizierung möglichst frühzeitig im Planungsprozess zu implementieren, um Potenziale zu heben und den Zertifizierungsprozess projektspezifisch zu gestalten und möglichst geräuschlos neben dem eigentlichen Planungsprozess laufen zu lassen.
Informationen zur Studie:
Immobilienzertifizierung – Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit im Fokus
Hardcover. DIN A4 Querformat. 136 Seiten.
ISBN 978-3-7406-0245-1
149,00 EUR. Im Buchhandel erhältlich.
Mehr zum Vergleich der Zertifizierungssysteme gibt es auch in Artikelserie „DGNB & Co. im Vergleich“ im DGNB Blog: