In der öffentlichen Wahrnehmung werden mit DGNB, LEED und BREEAM drei der weltweit führenden Systeme zur Zertifizierung von nachhaltigen Gebäuden häufig in einem Atemzug genannt, gleichgesetzt und für austauschbar befunden. Dabei gibt es neben den offensichtlichen Gemeinsamkeiten einige fundamentale Unterschiede. In einer Blogserie stellen wir diese vor und zeigen, dass die Unterschiede eine Vergleichbarkeit und damit eine Austauschbarkeit zwischen den Systemen nicht rechtfertigen.
1) Nachhaltig vs. Green
Der erste Unterschied zwischen den Systemen und dem Grundverständnis dahinter ergibt sich bereits in der Benennung. Das international geläufige „Green Building“ wird bei der DGNB ersetzt durch „Nachhaltiges Bauen“, da der Aspekt „Green“ nach dem Verständnis der DGNB zu kurz greift. Denn der Begriff ist sehr eng verbunden mit dem Bereich der Energieeffizienz bzw. Ökologie, der jedoch nur ein Teilaspekt einer nachhaltigen Bauweise sein sollte. So fußt das DGNB System auf dem klassischen Nachhaltigkeitsverständnis mit dem Dreiklang von Ökologie, Ökonomie und Sozialem.
Den wirtschaftlichen Bereich nicht oder nur untergeordnet mit abzubilden, wie es bei dem eher auf energierelevante Themen fokussierten LEED der Fall ist, steht im Widerspruch zu diesem Verständnis. Im Sinne der DGNB muss ein Gebäude immer so geplant und gebaut sein, dass es
- umweltverträglich und ressourcenschonend gebaut und betrieben werden kann,
- wirtschaftlich sinnvoll, langfristig kostensparend und mit Blick auf die Investitionen möglichst wenig risikobehaftet ist,
- den Mensch in den Fokus setzt, indem es Gesundheit und Komfort fördert und die Aufenthaltsqualität erhöht, was eine langfristige Nutzung wahrscheinlicher macht,
- die klimatisch und kulturellen Begebenheiten so gut es geht berücksichtigt, sich an diese anpasst und damit die bestmögliche Lösung für die lokalen und baukulturellen Anforderungen darstellt.
Zudem gibt es im DGNB System mit der technischen Qualität, der Prozess- sowie der Standortqualität drei weitere Themenfelder, die wesentlich sind für die Nachhaltigkeit eines Gebäudes in der Planung, in der Realisierung und im Betrieb. Um eine Zertifizierung in der höchsten Auszeichnungsstufe zu erhalten, müssen bei der DGNB in allen Themenfeldern sehr gute Ergebnisse erzielt werden. Damit stellt die DGNB sicher, dass bei den zertifizierten Gebäuden immer auch ein möglichst ganzheitlicher Nachhaltigkeitsansatz umgesetzt wurde.
2) Lebenszykluskosten und Ökobilanzierung
Eine Grundidee hinter dem DGNB System liegt in der konsequenten Lebenszyklusbetrachtung eines Gebäudes und der Berücksichtigung der gesamten Wertschöpfungskette im Bauen. Dies fängt an bei der Gewinnung der Rohstoffe und endet beim Rückbau des Gebäudes sowie dem Recycling der Bauteile. Bei den meisten Nutzungsprofilen setzt die DGNB eine Referenznutzungsdauer von 50 Jahren an. Diese lebenszyklusbasierte Perspektive zieht sich durch das komplette DGNB System und alle Nachhaltigkeitsqualitäten. In der ökologischen Qualität wird eine gute Ökobilanz (LCA) des Gebäudes gefordert. Diese ermittelt den gesamten Ressourcenverbrauch sowie die Umweltwirkungen, zum Beispiel den Ausstoß klimaschädlicher Gase. Bewertet wird dieses Ergebnis über den gesamten Lebenszyklus. Berücksichtigt wird damit, dass ein höherer Aufwand in der Bauphase sich über eine bessere Performance in der Nutzung amortisieren kann.
Die dezidierte Bewertung von Schad- und Risikostoffen im Gebäude betrachtet die gesamte Wertschöpfungskette, also die Wirkungen von der Herstellung, dem Einbau, im Betrieb genauso wie bei der Entsorgung der eingesetzten Produkte. Ökonomisch betrachtet die DGNB im Rahmen der Zertifizierung neben den Kosten für Energie und Wasser die gebäudebezogenen Erstellungs- und Folgekosten, etwa für zukünftig notwendige Reinigungs-, Instandhaltungs- oder Modernisierungsmaßnahmen, die heute schon kalkulierbar sind. Hierfür wird die Methode der Lebenszykluskostenberechnung (LCC) eingesetzt. In der Prozessqualität wird die konsequente Umsetzung des Lebenszyklusprinzips besonders deutlich, indem jedem relevanten Abschnitt – von der Bedarfsplanung bis zur Entsorgung – eine eigene Anforderung gewidmet ist.
Die konsequente Ausrichtung auf den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes und der damit verbundene Einsatz der genannten Methoden zählen von Anfang an zu den elementaren Bestandteilen des DGNB Systems. Bei den übrigen am Markt verfügbaren Zertifizierungssystemen erfolgt dies nach wie vor nur in einem reduzierten Maße. Effekte, die die DGNB mit der konsequenten Umsetzung des Lebenszyklusprinzips erzielen konnte, sind zum Beispiel, dass viele Hersteller von Bauprodukten konsistente Informationen über die Umweltwirkungen ihrer Produkte bereitstellen, z.B. in Form von Umweltproduktdeklarationen (EPD). Bauherren nutzen die Ergebnisse der DGNB Bewertung für Entscheidungen mit Langzeithorizont und bei der Umsetzung der effektivsten Maßnahmen, während Projektentwickler und Investoren die erreichten lebenszyklusbezogenen Nachhaltigkeitskennzahlen an ihre potenziellen Kunden kommunizieren.
3) Performanceorientierung vs. Bewertung von Einzelmaßnahmen
Ob eine bauliche Maßnahme für ein Gebäude sinnvoll ist, hängt von einer Vielzahl unterschiedlicher Faktoren ab, die sich oftmals erst durch den Kontext, in dem ein Gebäude entsteht, ergeben. In diesem Sinne funktioniert das DGNB System im Gegensatz zu anderen Zertifizierungssystemen auch nicht als Rating-Tool, in dem Einzelmaßnahmen getrennt voneinander bewertet werden. Vielmehr zielt das DGNB System immer auf eine bessere Gesamtperformance des Gebäudes ab. Dabei wird das Ergebnis im Sinne der erzielten Wirkung für das Gebäude bewertet, und nicht die Umsetzung vordefinierter Maßnahmen abgeprüft. Konsequent steht bei allen Kriterien das zu erreichende Ziel im Vordergrund. Somit liegt die Lösungsfindung bzw. der dorthin führende Weg in der Verantwortung der Investoren und Planer und eröffnet Freiräume für neue und innovative Konzepte. Etwaige Mehrkosten für Innovationen können im Rahmen der Lebenszykluskostenrechnung berücksichtigt werden, was eine faire Bewertung erlaubt und das eingegangene Risiko honoriert.
Die unterschiedliche Herangehensweise zeigt sich auch am Beispiel der Ökobilanzierung. Während bei LEED die reine Durchführung einer Ökobilanzierung bereits als Maßnahme belohnt wird, sieht die DGNB dies integrierter als Mittel, um die erforderlichen Performancewerte zu ermitteln, die im Rahmen der Zertifizierung anhand von Benchmarks bewertet werden. Ähnlich verhält es sich beim Einsatz von EPDs. Hier wird bei LEED bereits die Zusammenstellung von EPDs belohnt, ungeachtet davon, um welche Produkte es sich handelt und wie diese im Gebäude eingesetzt werden. Im DGNB System dienen EPDs zur Grundlagenermittlung, um mit den richtigen Daten eine Ökobilanz zu erstellen, die damit so realitätsnah wie möglich wird.
Eine Unterscheidung gibt es auch in der Art der Bewertung pro Kriterium. Während bei LEED und BREEAM eine Bewertung nach dem Schema „erfüllt oder nicht erfüllt“ erfolgt, gibt es bei der DGNB differenzierte Abstufungen auf Grundlage von Ziel-, Referenz- und Grenzwerten. Damit wird im DGNB System verhindert, dass einzelne Nachhaltigkeitsaspekte ganz ausgeklammert werden. Zudem wird belohnt, wenn bei einem Projekt die Kriterien sinnvoll bearbeitet werden, ohne zwingend die volle Punktzahl erreichen zu müssen.
4) Anpassung der Anforderungen vs. Ein System für alle
In mehr als 20 Ländern weltweit wurden bislang Gebäude nach DGNB zertifiziert. Das Besondere ist, etwa im Vergleich zu LEED, dass die DGNB die in den Kriterien adressierten Anforderungen auf die regionalen Gegebenheiten anpasst. Dies umfasst beispielsweise die regulatorischen Rahmenbedingungen, die spezifischen Marktkonditionen sowie die klimatischen Verhältnisse. Für die neueste Version 2018 der Zertifizierung für Neubauten entwickelt die DGNB derzeit einen ausdifferenzierten Leitfaden zur Anwendung des Systems in internationalen Märkten. Konkret werden die in den einzelnen Kriterien formulierten Referenz- und Grenzwerte angepasst, setzen also Start- und Vergleichswerte in den jeweiligen nationalen Kontext. Die Zielwerte, deren Erreichen eine maximale Punktzahl in den jeweiligen Indikatoren bedeutet, sind hingegen international gleich, auch wenn diese ggfs. auf verschiedenen Wegen erzielt werden können. Somit orientieren sich alle DGNB zertifizierten Gebäude an den übergeordneten Zielsetzungen, was zum einen eine Vergleichbarkeit auch über Landesgrenzen hinaus ermöglicht und zum anderen einen gesamtheitlichen, positiven Beitrag zur gebauten Umwelt liefert.
Im zweiten Teil der Reihe erfahren Sie mehr über die Auszeichnungsformen, Nutzungsprofile, die Organisationen hinter den verschiedenen Systemen und die Kosten der Zertifizierung.