Das Thema Nachhaltigkeit nimmt in der Bau- und Immobilienbranche immer mehr an Bedeutung zu. Personen und Unternehmen, die sich spezialisieren, bietet sich ein Wachstumsmarkt, den sie für sich nutzen können. Dabei ist das Wissen über den Markt und die aktuellen Themen für alle Akteure entscheidend. Warum lohnt es sich, Know-how intern aufzubauen? Welche Themen bewegen die Branche im Kontext der Nachhaltigkeit gerade? Und was können wir zukünftig erwarten? Im Interview gibt Jürgen Utz, Abteilungsleiter der DGNB Akademie, eine Einschätzung.
Tamira Bethke (TB): Welche Themen für die nachhaltige Transformation beschäftigen die Baubranche deiner Meinung nach gerade besonders?
Jürgen Utz (JU): Die Baubranche umfasst eigentlich viele verschiedene Bereiche – vom Investor bis zum Handwerker. Entsprechend vielfältig sind die Themen, die sich aus der nachhaltigen Transformation im Bauen ergeben.
Ganz oben steht momentan sicher das Trendkürzel ESG in Folge der EU-Taxonomie und Offenlegungsverordnung. Vereinfacht gesagt führt dies in der Breite dazu, dass die Anforderungen an Gebäude, was Klimaschutz und weitere Faktoren angeht, steigen. Damit beginnt für Investoren, Planer, Hersteller und alle Bauschaffenden nun die Suche nach geeigneten Konzepten, Materialien und schlussendlich Wissen darüber, wie man diese Anforderungen erfüllen kann.
TB: Kannst du das spezifizieren? Welche Fragen müssen sich Bauschaffende denn zum Beispiel stellen?
JU: Bestand umbauen oder gar neu bauen? Mit welchen Materialien kann man Emissionen und Betriebsenergie einsparen? Welche sind geeignet, weil unbedenklich in der Gewinnung, Verarbeitung und beim Rückbau? Und wie zahlt der sich ergebende Entwurf auf die weiteren Ziele ein? Man muss sich zum Beispiel fragen, wie er zum Erhalt oder zur Erweiterung der Biodiversität am Gebäude oder den anliegenden Flächen beitragen kann. Und, ob er auch einen hohen Komfort für die Nutzer sichert.
„Die Potenziale werden nur langsam ausgeschöpft – aus verschiedensten Gründen“
TB: Es muss also der gesamte Lebenszyklus des Gebäudes mitgedacht werden… Macht die Digitalisierung das nicht einfacher?
JU: Die Digitalisierung ist ein weiterer Treiber oder gar „Megatrend“, von dem man sich wesentliche Unterstützung und Vereinfachung bei der Umsetzung von Nachhaltigkeit erhofft. Mit ihr ergeben sich viele verschiedene Möglichkeiten, Nachhaltigkeitsaspekte umzusetzen. Von der Optimierung wesentlicher Kennwerte des Lebenszyklus über die Materialdokumentation bis hin zur einfacheren Übergabe ans Facility Management. Leider ist die Branche hier an vielen Stellen noch nicht so weit. Die Potenziale werden nur langsam ausgeschöpft – aus verschiedensten Gründen.
Mit den Marktveränderungen erwarte ich mir aber einen steigenden Bedarf an digitalen Tools und eine Beschleunigung von Entwicklungen durch die Nutzung der Expertise zum nachhaltigen Bauen. Wie sie die DGNB zum Beispiel bereitstellt.
TB: Mit welchen Herausforderungen muss man sich jetzt auseinandersetzen?
JU: Konkret haben wir immer noch die Problematik, dass zu oft die Kostenfrage gestellt wird. Nicht, weil diese nicht zulässig wäre – ganz im Gegenteil. Nur wird zur Beantwortung nicht auf das verfügbare Wissen zurückgegriffen. Wir wissen inzwischen sowohl über Fortschreibungen der Regulatorik, zum Beispiel die CO2-Steuer und EU-Taxonomie, als auch diverse Klimawandelrisiken, also physische Gefahren, gut Bescheid. Steigender Meeresspiegel, Hagelschäden, steigende Hitzebelastung … um nur ein paar zu nennen. Wer nur die klassischen Parameter anlegt, wird über die nächsten zehn Jahre zusehen können, wie der Wert der eigenen Immobilie kontinuierlich sinkt.
TB: Also geht es vor allem darum, vorausschauend zu handeln und auf dem Laufenden zu bleiben, was Regularien angeht.
JU: Genau. Und es braucht eine belegbare Umsetzung. Nachhaltigkeitszertifikate, wie das der DGNB, haben einen Vorteil: Sie werden von einer unabhängigen Prüfstelle vergeben.
Nebenbei: Ein Zertifikat ist das Ergebnis eines Prozesses, der nachweislich und transparent die Qualität des Objekts verbessert. Für eine Vielzahl von Themen, wie zum Beispiel Innenraumluftmessung oder Kreislaufwirtschaft wird klar belegt, was das Gebäude leistet. Man bekommt also für die Investitionen schlicht mehr Qualität. Wieso sollte mehr Nachhaltigkeit dann kostenfrei sein? Mit dem richtigen Wissen und einer frühen Entscheidung für das Zertifikat werden Objekte aber nicht teurer. „Gewusst wie“ macht sich einfach bezahlt.
„Wer nichts selber weiß, muss anderen glauben“
TB: Was rätst du Bauschaffenden, die jetzt an der Wende hin zu mehr Nachhaltigkeit mitwirken möchten?
JU: In Zeiten wie diesen, wo Unsicherheiten zunehmen und neue Themen zu bewältigen sind, empfiehlt sich aus meiner Sicht ein Dreiklang.
Erstens gilt es, aktiv die Risiken für das eigene Geschäftsmodell ehrlich zu erfassen und zu überlegen, was es für eine Transformation braucht.
Zweitens braucht es Wissen auf unterschiedlichsten Ebenen, um handlungs- und entscheidungsfähig zu bleiben. Sei es ein Überblick über die Entwicklungen auf dem Finanzmarkt in Folge der EU-Taxonomie, um die Implikationen für die eigenen Aktivitäten ableiten zu können. Oder dann spezifische Kenntnisse für die Praxis, zum Beispiel über Lebenszyklusbetrachtungen oder Materialien und wie man damit im Rahmen einer Zertifizierung sicher umgehen kann. Wer nichts selber weiß, muss anderen glauben oder sich beraten lassen und ist damit von Dritten abhängig. Das schränkt die eigene Flexibilität ein. Von daher macht sich Wissen immer in mehrfacher Weise bezahlt.
Drittens braucht es ein Netzwerk aus Gleichgesinnten. Denn alleine kann man das Thema nicht bewegen und wenn wir auf die notwendige Geschwindigkeit kommen wollen, braucht es Allianzen und Austausch. Hier bietet die DGNB e.V. als Plattform und Mitmach-Verein viele Möglichkeiten, voneinander zu lernen und das Thema voran zu bringen.
TB: Die DGNB Akademie stellt sich mit ihren Leistungen und Angeboten darauf ein, was die Branche gerade bewegt oder blickt manchmal gar in die Zukunft. Mit welchen Themen können wir in absehbarer Zeit bei der DGNB Akademie rechnen?
JU: Die DGNB Akademie entwickelt sich parallel zu den Anforderungen der Branche weiter und versucht dabei immer, ein paar Schritte voraus zu sein. In der laufenden Seminarreihe „Baustoffe für die Bauwende“ beschäftigen wir uns mit verschiedensten Baumaterialien, aus denen nachhaltige Gebäude sind. Die kommenden Seminare behandeln die Aufbereitung von mineralischen Abfällen (Urban Mining) und das Bauen mit Holz.
Ab dem 19. Oktober starten wir unsere neue Seminarreihe „Digitale Transformation“. Dort lernt man die wichtigsten Werkzeuge und digitale Lösungen kennen, um die Chancen der Digitalisierung im Kontext des nachhaltigen Bauens umzusetzen. Der Fokus liegt stark auf der Anwendung in der Praxis.
Ergänzend wird es zukünftig noch eine weitere Reihe zum Thema ESG und Sustainable Finance geben, das aus unserer Sicht an Bedeutung gewinnen wird. Im kommenden Jahr werden wir uns dann mit Themen rund um Biodiversität, Circular Economy, klimapositive Gebäude und unsere urbane Zukunft auseinandersetzen.

Jürgen Utz, Abteilungsleiter DGNB Akademie
Weiterführende Informationen zur DGNB Akademie
- Alle Informationen zur DGNB Akademie finden Sie online unter dgnb-akademie.de.
- Das Seminarangebot zu den unterschiedlichsten Bereichen des nachhaltigen Bauens finden Sie hier.
- Mehr zur Ausbildung zum DGNB Experten für nachhaltiges Bauen erfahren Sie hier.
- Für Unternehmen, die auf Nachhaltigkeit setzen und das Wissen über nachhaltiges Bauen als festen Bestandteil integrieren möchten, bietet die DGNB Akademie Inhouse-Schulungen und individuelle Weiterbildungsmöglichkeiten an. Hier erfahren Sie mehr dazu.